Es begann vor einiger Zeit beim „Park Run“ am Allersee: Während sich die Sportler zum Laufen trafen, flatterte plötzlich eine Elster heran und setzte sich auf die Schulter von Kai Oltmanns. Sein Kumpel Matthias Leitzke holte sein Handy heraus und machte Fotos. „Der Vogel war ungewöhnlich zutraulich“, berichtet er. Als die Elster anfing, mit dem Schnabel am Sportdress rumzuzupfen, wurde sie kurzerhand verscheucht.
Doch die Läufer hatten die Rechnung ohne Lilly – so wurde die Elster von der Vorsfelderin Brigitte Schulze getauft – gemacht: Während die Sportler um den Allersee joggten, nahm Lilly die Abkürzung übers Wasser und wartete auf der anderen Seeseite schon auf die Läufer. Schwupps, wieder setzte sie auf die Köpfe von Kai Oltmanns und Matthias Leitzke. „Sie schien richtig angriffslustig zu sein“, sagt Leitzke.
Eine ähnliche Erfahrung machte auch Silke Hitschfeld beim Spaziergang mit ihrem Mann: „Wir hatten Vogelfutter dabei und hörten das typische Knattern einer Elster“, berichtet die Almkerin. Die Elster habe sich ruckzuck auf Arm und Kopf gesetzt und auf Futter gewartet. „Doch dann hat sie zweimal in meinen Ohrring gehackt. Sie hat versucht, ihn zu klauen.“ Silke Hitschfeld verscheuchte das Tier daraufhin. Einige Tage später trafen sich die Beiden in Hitschfelds Pause wieder – natürlich am Allersee: Wieder kam Lilly angeflogen und setzte sich auf die Schulter der Polizistin. Und blieb diesmal brav.
Auch Hitschfelds Kollegin Simone Meyer hat am Allersee ihre Erfahrung mit Lilly gemacht: Beim Dienstsport kam die Elster plötzlich angeflogen und setzte sich auf die Schulter der Polizistin – vermutlich hat sie geahnt, dass Meyer Futter griffbereit hatte. Nach dem Schmaus flog Lilly weiter. „Vielleicht wurde das Tier von Menschen aufgezogen und ist deshalb so zutraulich“, mutmaßt Silke Hitschfeld. Das glaubt auch Stefan Rotterschmidt – auch ihm stattete Lilly am Allersee einen Besuch ab.
Michael Kühn vom Naturschutzbund (Nabu) in Wolfsburg kennt die Elster aus Vorsfelde: „Dort war sie an Futterstellen schon sehr zutraulich. Sie hat gelernt, dass es bei uns Menschen häufig etwas zu fressen gibt.“ Normal sei dieses Verhalten allerdings nicht: „Die Elster scheint schon direkten Kontakt zu Menschen gehabt zu haben. Vielleicht wurde sie tatsächlich von Hand aufgezogen oder hat sich durch Vogelfütterung sehr schnell an Menschen gewöhnt.“ Sein Appell an alle menschlichen Lilly-Freunde: „Spaziergänger sollten das Tier nicht füttern, um dieses Verhalten nicht auch noch zu fördern. Wenn die Elster kein Futter bekommt, werden die Menschen schnell uninteressant.“Auch Rita Deiders vom Heimatverein Vorsfelde rät vom Füttern der Elster ab: Sonst würde sie nur noch darauf warten, von Menschen gefüttert zu werden. Denn, so die Naturliebhaberin: „Rabenvögel wie die Elster sind sehr intelligente Tiere.“ Diese Elster haben sich immer wieder bei der Vorsfelderin Brigitte Schulze blicken (und füttern) lassen. Bis Schulze sie schließlich „meine Lilly“ nannte – der Name Lilly war geboren und macht seitdem in der Eberstadt die Runde.
Rita Deiders berichtet von Kolkraben, die sie in ihrer Kindheit gepflegt und aufgepäppelt habe – die hätte sich ähnlich verhalten wie Elster Lilly heute. Trotz ihres auffälligen Verhaltens ist die übrigens eine typische Elster: neugierig und intelligent. Ihre Nahrung verstecken Elstern laut Nabu für kurze Zeit in Löchern im Boden und müssen sich diese Stellen genau merken, um sie später wiederzufinden.Eigentlich leben Elstern in der offenen Agrarlandschaft – doch kurzrasige Weiden werden weniger, was die Elstern näher an menschliche Siedlungen heranrücken lässt. So wie Lilly, die sich in Vorsfelde und am Allersee anscheinend pudelwohl fühlt.