Johaina Westphal Martínez begrüßte als Organisatorin der Lesung und Mitgründerin des femCircles die Gäste. Der femCircle ist eine Wolfsburger Initiative für Feminismus und Gleichberechtigung des gemeinnützigen Vereins Institut für Zukünfte.
Der Autor Boris von Heesen stellte sich als „Spezialist für gesunde und progressive Männlichkeit“ vor. In seinem Buch behandelt er die Mehrkosten, die für die deutsche Gesellschaft durch toxisches, männliches Verhalten entstehen. „Es ging mir schon immer um die Einzelschicksale, die ich in meinem beruflichen Leben miterlebt habe. Für mein Buch habe ich versucht, diese Einzelschicksale immer im Blick zu behalten und dennoch eine Sprache zu wählen, die unserer Gesellschaft geläufig ist – nämlich die des Kapitalismus“, erläuterte von Heesen zu Beginn der Lesung. Diese Sprache des Kapitalismus mündet in diversen Zahlen, die der Autor in den einzelnen Kapiteln seines Buches detailliert aufschlüsselt. Nach Angaben des Autors verursachen Männer 63 Milliarden Euro jährliche Mehrkosten im Vergleich zu Frauen.
„In meinem Buch habe ich nur solche Zahlen aufgenommen, die durch Studien und Quellen belegt sind. Daher sind die 63 Milliarden Euro eine vorsichtig geschätzte Untergrenze. Bei besserer Studienlage würden wir sicherlich über noch höhere Mehrkosten sprechen“, so der Wirtschaftswissenschaftler.
Auch weitere Werte, die der Autor in der Lesung aufgriff, sorgten für Staunen und nachdenkliche Blicke unter den Gästen: So seien 94 Prozent der deutschen Gefängnisinsassen männlich. Auch Wirtschaftskriminalität werde vor allem von Männern ausgeübt. Und Männer führten die Zahl der Verkehrstoten mit großem Abstand an.
Die Ursache für viele dieser Verhaltensweisen sieht der Autor in den gesellschaftlichen Strukturen, die über Rollenbilder vermitteln, wie sich einzelne Mitglieder der Gesellschaft zu verhalten hätten. „Das Bild von Männlichkeit begleitete uns alle von Kindheitstagen an“, erklärte von Heesen. „In der eigenen Erziehung, in der Schule, in Filmen, Literatur und Werbung. Das Patriarchat, also die gesellschaftliche Struktur, die von Männern für Männer geschaffen wurde, zieht sich durch das gesamte Leben eines Menschen. Daher ist es so wichtig, dass wir Lösungsansätze für alle Lebensphasen entwickeln“, so der Autor.
Als grundlegende Lösung führt er das Aufbrechen von Rollenstereotypen an sowie die Einsicht von Männern, dass sie durch ihre gesellschaftliche Rolle einerseits Privilegien genießen, andererseits diese männlichen Stereotype auch zu Schattenseiten führen, die Männer in ihrer individuellen Entfaltung beschränken. Ein weiterer Lösungsansatz sei laut von Heesen ein digitaler Gleichstellungsmonitor, in dem die derzeit noch sehr zerstreuten Studien zum Thema Gleichberechtigung gebündelt und für alle Bürger verständlich dargestellt würden. In Ergänzung schlägt der Autor eine jährliche Pressekonferenz der Bundesregierung vor, in der prominent all jene Kosten aufgezeigt werden, die durch gesellschaftsschädigendes männliches Verhalten entstünden. Zuletzt sprach sich Boris von Heesen für eine Neuerzählung von Feminismus aus. „Der Begriff des Feminismus ist inzwischen derlei aufgeladen, dass er bei vielen Männern reflexartig zu einer Ablehnung führt, sich mit dem Thema überhaupt auseinanderzusetzen. Daher ist es wichtig, die feministische Bewegung als das darzustellen, was sie ist: eine Bewegung für Gerechtigkeit von Menschengruppen, die aktuell Ungerechtigkeit erleben“, erläuterte von Heesen.
„Diesen Ansatz, den feministischen Begriff neu zu definieren, empfinden wir als sehr wertvoll“, sagt Johaina Westphal Martínez, Mitgründerin des femCircles. „Auch im femCircle legen wir den Fokus darauf, uns für Gleichberechtigung für alle Menschen einzusetzen. Daher ist für eine gleichberechtigte Zukunft entscheidend, auch Männer für die Ziele des Feminismus zu gewinnen“, so Westphal Martínez.
Im Anschluss an die Lesung hatten die Gäste die Möglichkeit, Fragen an den Autor zu stellen und Feedback zu geben. Es entstand ein angeregter Austausch, in dem nicht nur der Autor auf die Fragen der Gäste einging, sondern auch die Gäste untereinander ihre Sichtweisen teilten. Die Fragen gingen von der eigenen Verantwortung, sich gegen patriarchale Strukturen einzusetzen über den Leidensdruck, den auch Männer unter den vermeintlichen Stereotypen von „Männlichkeiten“ empfinden bis hin zu der Feststellung, dass in den sozialen Netzwerken ein Rückwärtstrend hin zu veralteten Rollenbildern, insbesondere bei Jugendlichen, beobachtet werden kann.
Der femCircle ist sehr zufrieden mit der Veranstaltung. „Es war schön, dass sowohl Frauen als auch Männer zu der Lesung kamen und angeregt diskutierten. Denn Feminismus geht uns alle an“, sagte Johaina Westphal Martínez.