Noch hängt das markante grüne Schild über dem Eingang – ein gelbes „W“ auf schwarzem Hintergrund, rechts daneben ist zu lesen „Wohlfühl Bäckerei“. Links neben der Verkaufstheke ist ein kleines Café, auch vor dem Eingang stehen ein paar Tische. Gäste lassen sich auch schon in der Mittagszeit Obstkuchen und andere Leckereien bei einer Tasse Kaffee schmecken. Es herrscht normaler Geschäftsbetrieb.
Aber: Die Bäckerei Wohlgemuth ist bald Geschichte. Nicht weil das Geschäft nicht mehr lief, ganz im Gegenteil, sondern weil Bäcker Karsten Wohlgemuth (55) nach rund 40 Jahren im Berufsleben die Reißleine gezogen hat. „Am 9. Juli habe ich mein Gewerbe bei der Stadt Wolfsburg abgemeldet“, erzählt er. Damit endet nach rund 73 Jahren – die Bäckerei wird aktuell in der dritten Generation betrieben – auch ein Stück Wolfsburger Handwerksgeschichte, die im Jahr 1951 begann. Damals befand sich der Betrieb allerdings noch auf der anderen Straßenseite, Hausnummer 67.
Anfang des Jahres 2024 hatte Karsten Wohlgemuth den Kontakt zur Cadera-Geschäftsführung aufgenommen. Sein Anliegen war eindeutig: „Ich wollte den Backbetrieb einstellen. Es war jahrzehntelang ein Rund-um-die-Uhr-Job und irgendwann ist es einfach genug, vor allem mit der Nachtschicht“, sagt Karsten Wohlgemuth. Im Alter von 15 Jahren habe er in der Bäckerei seines Vaters mit der Ausbildung begonnen. Seit 1999 führte er zusammen mit seiner Frau Sandra das Geschäft als Chef.
Der Tagesablauf der Familie war jahrzehntelang vom Betriebsablauf geprägt. Von abends 21 Uhr bis morgens um 6 Uhr steht Wohlgemuth in der Backstube. „Dann wird ein bisschen geschlafen und mittags geht es wieder weiter, Vorbereitungen für den nächsten Tag müssen getroffen werden“, erzählt er. „Dann wird eingekauft und erledigt, was sonst noch alles so anfällt“, ergänzt Ehefrau Sandra, die vor allem die Tätigkeiten im Büro erledigt.
17 Mitarbeitende hat der Bäckereibetrieb am Reislinger Markt. Sie sollen nicht auf der Straße stehen. „Die Beschäftigten haben die Option, bei uns unter Anrechnung ihrer Betriebszugehörigkeit einen Arbeitsvertrag zu bekommen“, sagt Cadera-Geschäftsführer Hendrik Wolf-Doettinchem. „Das war uns sehr wichtig“, ergänzt Karsten Wohlgemuth. Auch die Weiterbeschäftigung seiner Mitarbeiter sei einer der Gründe gewesen, dass er den Schritt auf Cadera zu gemacht habe. „Wir kennen uns lange und haben ein gutes Verhältnis“, sagt der 55-Jährige.
Wie geht es jetzt mit dem Geschäft am Reislinger Markt weiter? Zum 1. November wird das grüne Wohlgemuth-Logo durch das rote von Cadera ausgetauscht. Die Backstube wird dann überflüssig sein, denn das Ladengeschäft wird künftig von Cadera aus der Borsigstraße beliefert. „Was aus der Backstube wird, ist noch nicht geklärt, aber es gibt Ideen“, kündigt Imke Wolf-Doettinchem an. Welche, das wollte die Cadera-Geschäftsführung noch nicht verraten.
Doch nicht nur der Laden soll übernommen werden. „Die Kunden waren hier gewisse Produkte gewöhnt. Vor allem der Kuchen wurde sehr gelobt“, weiß Hendrik Wolf-Doettinchem. Von seinen Fachleuten werde geprüft, ob und in welcher Form sich Rezepturen künftig im Sortiment wiederfinden könnten, so der Cadera-Chef. Dass mit Wohlgemuth jetzt ein kleinerer Bäcker aufhört, bedauern auch die künftigen Inhaber, denn es gehe ein Stück Vielfalt verloren. „Jeder Bäcker hat seine individuellen Rezepturen, deswegen ist es schade, dass solche Betriebe schließen“, sagt Imke Wolf-Doettinchem.
„Wir sind sehr froh, endlich mehr Zeit füreinander zu haben“, sagen Karsten und Sandra Wohlgemuth abschließend. So richtig realisiert habe man den neuen Lebensabschnitt aber bislang noch nicht. Wirklich bewusst werde das erst, wenn sich nicht mehr alles 24 Stunden am Tag um den Betrieb drehe. Letztendlich seien alle Beteiligten über die gefundene Lösung sehr glücklich. „Ein Familienbetrieb wird von einem Familienunternehmen übernommen – nur, dass es eine etwas größere Familie ist“, fasste Cadera-Bezirksleiterin Carolin Berlin zusammen.