„Die Welt steht kopf im Kunstmuseum“, sagte Kunstmuseumsdirektor Dr. Andreas Beitin beim Pressetermin. „Die Halle ist in einen surrealen Kosmos verwandelt worden.“ Die ganz in schwarz getauchte Ausstellungsfläche verstärkt den Effekt der Kunstwerke, vom ehemaligen Chefbeleuchter des Staatstheaters in Braunschweig in Szene gesetzt. Der Künstler selbst sprach von einem außergewöhnlichen Projekt: „Es war eine kreative Erfahrung. Dank der Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum konnten diese ambitionierten Installationen erst entstehen“, so Erlich.
Zu den spektakulärsten Installationen zählt eine Mondkuppel mit rund 20 Metern Durchmesser und zwölf Metern Höhe, in deren Inneren mit Beamern auf Leinwänden ein virtuelles Universum geschaffen wird. Auf dem verspiegelten Boden gehend wähnt sich der Betrachtende schwerelos im All und taucht untermalt von sphärischen Klängen in den Kosmos ein. Die 360-Grad-Immersion ist so gut gelungen, dass einem mitunter schwindelig wird. Auf den Wow-Effekt folgt das Nachdenken über die Bedeutung des Menschen in der Unendlichkeit des Universums.
Beitin hatte den argentinischen Künstler Erlich eingeladen, für seine erste Einzelausstellung in Deutschland die große Halle des Kunstmuseums zu nutzen. Die Ausstellung sei speziell dafür konzipiert worden. Beide hatten sich 2015 bei der Arbeit an dem Werk „Pulled by the Roots“ kennengelernt, welches erstmals 2015 in Karlsruhe gezeigt wurde. „Ein starkes Bild für unsere Zeit“, sagte Beitin. Das entwurzelte Haus stehe für die verlorene Heimat von Geflüchteten. „Leandro Erlich ist einer der wenigen Künstler weltweit, der es schafft, einerseits spektakuläre Kunstwerke zu schaffen und andererseits ein riesiges Spektrum gesellschaftlicher, politischer, wirtschaftlicher und ökologischer Fragestellungen damit zu verbinden“, bringt es Beitin auf den Punkt. Das Sternenzelt im Mond wandelt sich in einer Einstellung zu Lichterpunkten der nächtlichen Städte auf der Erde. Nach einem Wow-Effekt kommt der Betrachter ins Nachdenken über die Bedeutung des Menschen und sein Wirken in der Natur. Die Schönheit der Milchstraße ist in vielen Regionen der Erde aufgrund der Lichtverschmutzung nicht mehr zu sehen.
In einer Einstellung fällt der Mond zunächst bedrohlich zur Erde hinab, um dann seine Kraterlandschaft um den Betrachter herum aufzufalten. Eine Szene, die an die fatale kosmische Kollision in Lars von Triers „Melancholia“ erinnert, während die Rakete im Stil von Stanley Kubricks „Odyssee im Weltraum“ gestaltet ist. Von außen betrachtet zeigt ihre Spitze auf das Luftbild einer fiktiven Ackerlandschaft an der Decke. Die Raumfahrt eröffnete dem Menschen neue Perspektiven auf seinen Heimatplaneten, sowie Erlich mit seinen Kunstwerken zum Perspektivenwechsel anregen will. „Natürlich denken wir, es geht um das Universum, aber letztendlich geht es um die Verortung des Menschen im Kosmos“, sagt Co-Kurator Dino Steinhof.
Der Clou der Skulptur „Spacehip“: Auf Höhe der Empore können Besucher sich in der Rakete auf einen durchsichtigen Boden legen und dank einer ausgeklügelten Spiegelinstallation für das Publikum am Boden den Eindruck erwecken, man schwebe schwerelos im Raum. „Die Betrachter nehmen verschiedene Rollen ein“, erklärte Beitin: „Die des Zuschauers, des Akteurs und des Interpreten.“ Das Mitmachen sei von Erlich gewollt, um Berührungsängste abzubauen und Begegnungen zu schaffen. „Der Humor spielt bei ihm auch eine wesentliche Rolle“, fügt der Direktor hinzu.
Die kleineren Kunstwerke sind nicht minder beeindruckend: Scheinbar in Vitrinen konservierte Wolken bestehen aus hintereinander gelegten, bedruckten Glasplatten. Erst von der Seite betrachtet, offenbaren sich die einzelnen Schichten. „Der Wendepunkt, den ich an der Illusion interessant finde, ist die Erzeugung von Zweifeln; auf diese Weise kann die Illusion kritisches Denken fördern“, sagt Erlich über seine Werke.
Am Freitagabend fand die offizielle Eröffnung mit Art-Rave des DJ-Kollektivs „Von Seite“ statt, organisiert von der „Young Generation“, den „Jungen Freunden“ des Kunstmuseums. Öffentliche Führungen finden jeden Sonntag um 14.30 und 15 Uhr für vier Euro zuzüglich Eintritt statt und dauern 25 Minuten. Zu sehen ist die Ausstellung bis zum 13. Juli 2025.