In dem rund 100 Quadratmeter großen Salon war nach Angaben der Brüder vorher ein Friseur für Frauen. Vor rund einem Jahr war Turgay ganz kühn: „Ich habe gefragt, ob sie den Laden nicht abgeben möchten. Dann gab es einige Gespräche, und wir haben das Geschäft übernommen“, erzählt der große Bruder und lacht über seinen eigenen Mut. Nach einem Umbau wurde das Geschäft im Einkaufszentrum Westhagen im April 2024 eröffnet. Es sei kein Barbershop, die sieben Mitarbeiter bedienen Frauen und Männer.
Obwohl Turgay früher bei seinem Bruder die Haare geschnitten hat, frisiert der 32-Jährige heute nicht mehr. Als Inhaber ist er beispielsweise für die Buchhaltung verantwortlich, und er ist wie sein kleiner Bruder hauptberuflich im Werk angestellt.
Rüzgar Mendanlioglu hat keine Ausbildung zum Friseur, im Salon frisiert er nur Herren. Vor vier Jahren, während der Corona-Pandemie, habe er mit einem Rasierer die Haare von einem Freund geschnitten. „Der fand es ganz gut und das Foto habe ich veröffentlicht, so haben sich mehr Freunde bei mir gemeldet, und dann wurden die Haare in den eigenen vier Wänden geschnitten. Da die Friseursalons geschlossen waren, tat es den Menschen gut“, erzählt der 21-Jährige. Auch heute möchte er „das Selbstbewusstsein der Menschen stärken“.
Rüzgar ging auf das Albert-Schweitzer-Gymnasium und machte das Fachabitur. Mit einem Minijob kaufte er sich weiteres Friseur-Equipment, wie Rasierer. An eine Karriere auf Instagram oder TikTok dachte der Wolfsburger zu dem Zeitpunkt noch nicht, denn sein Kanal hatte unter 1.000 Follower. Inzwischen hat er auf Instagram (ruezzgar) über 5.000 Follower und auf Tiktok habe er fast 80.000 Abonnenten.
Sein Content, also sein Inhalt, sei ein Mix aus Tipps und Witz. „In den Videos erkläre ich beispielsweise, wie ich Haare schneide. Manchmal tue ich mit dem Rasierer so, als ob ich die Haare ganz kurz schneiden würde. Dabei erschrecken sich die Leute immer und das ist am Ende für alle witzig.“
Er habe bereits den VfL-Spielern Kevin Paredes und Philipp Schulze die Haare geschnitten, auch Profi-Boxer Agit Kabayel war im Salon. Zudem habe er große Pakete mit Produkten bekommen. „Als das erste Paket kam, wollten meine Eltern es nicht glauben. Als ich ihnen von der Werbung erzählt habe, waren sie stolz“, so Rüzgar. Nach der 12. Klasse absolvierte er ein Jahrespraktikum in einer Autowerkstatt. Danach fing er eine Ausbildung bei Volkswagen als Kfz-Mechatroniker für System- und Hochvolttechnik an. Aktuell ist er im zweiten Lehrjahr. Nach der Schicht legt er sich nicht auf das Sofa, sondern fährt nach Westhagen. Von 16 bis 19 Uhr arbeitet er im Salon „Komm Hair“. Der 21-Jährige erzählt, dass er Ausbildung und den zusätzlichen Job sehr gut vereinbaren kann. Und nicht nur das, er betont, dass ihm an freien Tagen langweilig sei. Sein großer Bruder hat aber ein Auge darauf: „Er darf nicht erschöpft sein, weil die Ausbildung immer vorgeht.“Ihre Eltern sind 1992 nach Deutschland gekommen. Turgay ist noch in der Türkei geboren, Rüzgar in Deutschland. „In Deutschland kann man viele Ziele erreichen. Daher ist das Land auch meine Heimat“, so der Ältere. Zudem sei Deutschland viel schöner, betont Rüzgar und lächelt. Die Familie reist meistens einmal im Jahr in die Türkei, um Urlaub zu machen. Rüzgar erzählt, dass sie von den Einheimischen als Ausländer angesehen werden: „In Deutschland wird man manchmal als Fremder angeschaut und in der Türkei ebenfalls.“
Einige Leute würden auch teilweise komisch reagieren, wenn sie erzählen, dass sie in Westhagen wohnen. Der Ruf eilt dem Wolfsburger Stadtteil voraus: Hochhäuser, Ausländer und Armut. Im Einkaufszentrum Westhagen gibt es einige Leerstände. Laut den Brüdern fehlt zum Beispiel ein Bäcker. Am Abend brennt nur in wenigen Geschäften das Licht, ansonsten ist es dunkel in der Passage. In einer Ecke stehen Männer, die rauchen und trinken. Es wirkt ein bisschen unheimlich.Die Wolfsburger möchten etwas gegen den Ruf unternehmen und wollen sich mit ihrem Salon dafür einsetzen, dass Wolfsburg mehr Touristen anzieht. „Viele kennen Wolfsburg nicht. Erst wenn ich VfL, VW oder DOW sage, wissen die Menschen, welche Stadt gemeint ist“, so Rüzgar. Laut den Brüdern muss es rund um das Einkaufszentrum schöner werden. Dann würden sich auch die Kunden sicherlich wohler fühlen. „Manche Kunden kommen aus ganz Niedersachsen und Hamburg zu mir, weil sie mich aus dem Internet kennen und auch gefilmt werden möchten“, berichtet der 21-Jährige.