Es ist ein sonniger Frühlingsfreitag mit Temperaturen jenseits der 20 Grad. Die Vögel zwitschern, die Forsythien blühen und der junge Frühling hat den alten Winter vertrieben. An den Übernachtungsplatz unter der Brücke zu gelangen, ist nicht ganz so einfach. Parkplätze gibt es keine in der Nähe, und man muss die stark befahrene Straße überqueren.
Unter der Brücke am St.-Annen-Knoten ist es schattig und laut vom Verkehrslärm. Dort lehnt Matthias (Name von der Redaktion geändert) an einem der Brückenpfeiler. Er sitzt auf einer Isomatte, hat seine Beine in einen blauen Schlafsack eingepackt und trägt eine Wollmütze mit einer Bommel auf dem Kopf.
Um seinen Schlafplatz herum liegen ein Rucksack und eine Tasche sowie ein paar Plastiktüten. Aus einem Radio mit Batteriebetrieb kommt Musik. „Sie können mir nicht zufällig ein bisschen Tabak verkaufen?“, fragt er mit einem leichten sachsen-anhaltinischen Dialekt. Nein, leider nicht. „Ich habe nämlich nicht mehr viel“, erzählt er. Neben ihm steht eine Tabakdose, und eine große Colaflasche liegt auf den kahlen Kieselsteinen. Er nimmt etwas Tabak aus der Dose und legt ihn in ein Zigarettenblättchen. Mit seinen großen Händen dreht er sich eine Zigarette.
Rauchend berichtet der 56-Jährige, dass er früher unter anderem als Straßen- und Brückenarbeiter gearbeitet habe. „Jetzt beziehe ich Vorruhestandsgeld, das bekomme ich im Rathaus“, sagt er.
Rund sechs Wochen sei er nicht in Wolfsburg gewesen, aus gesundheitlichen Gründen. „Seit Mittwoch bin ich wieder hier.“ Nein, er wolle nicht im Obdachlosenheim in der Borsigstraße übernachten, nur im Winter, bei lausiger Kälte, komme das schon einmal vor.
Als er hört, dass sich einige Wolfsburger Sorgen um ihn gemacht haben, weil sie ihn wochenlang nicht mehr unter der Brücke entdecken konnten, lächelt er: „Es ist alles in Ordnung.“ Ob er bei diesem Wetter nicht lieber in der Sonne sitzen möchte? „Nö, ich gehe hier nur weg, wenn ich etwas einkaufen muss.“
Der 56-Jährige erzählt, dass er im nahegelegenen Garten-Discounter in der Dieselstraße sowie im Supermarkt am Berliner Ring einkaufen gehe. Betteln gehe er nicht, auch den Verfasser dieser Zeilen bettelt er nicht an.
Dass vor der Unterkunft in der Borsigstraße einmal in der Woche Lebensmittel an die dortigen Bewohner verteilt werden, davon wisse er nichts. Es scheint ihn auch nicht besonders zu interessieren. Ob er nicht einmal woanders leben möchte? „Nein, ich möchte hierbleiben“, sagt der 56-Jährige und wirft etwas Vogelfutter in Richtung der Tauben, seiner einzigen Gesellschaft in dieser kargen Umgebung.
Seit mehr als 30 Jahren kümmert sich das Ehepaar Monika und Wolfgang Schmidt um die Menschen in der Unterkunft in der Borsigstraße. Einmal in der Woche bringen die Schmidts Lebensmittel dorthin. „Bei einem unserer Besuche in der Unterkunft haben wir den Mann dort gesehen“, erzählt Monika Schmidt. Lebensmittel habe der besagte 56-Jährige nicht in Empfang genommen. Viel sei über ihn nicht bekannt. Er sei wohl selten dort, nur hin und wieder im Winter einmal. Wer die Arbeit der Schmidts unterstützen möchte, kann sich an die Christophorus-Gemeinde wenden.
In der Unterkunft im Gewerbegebiet leben zur Zeit 95 Menschen, teilte die Stadt Wolfsburg auf Anfrage mit. Die Zahl der Bewohner schwankt, nach Angaben der Stadt Wolfsburg wohnten dort in den vergangenen Jahren gleichbleibend zwischen 90 und 130 Personen.
Ist die Not groß, können dort bis zu 180 Menschen Zuflucht finden.
Wie viele Obdachlose es im gesamten Stadtgebiet gibt, darüber konnte die Stadt Wolfsburg keine Angaben machen.