„Wenn jemand unsere Hilfe sucht, setzen wir uns – bildlich gesprochen - bei ihnen auf den Beifahrersitz. Die Anrufenden bestimmen, wo es langgeht, sie legen Route, Tempo und Ziel der Begleitung fest“, erklärt Anna Schüßler, Leiterin der Telefonseelsorge Wolfsburg. Diese Begleitung ist ohne fundierte Ausbildung nicht möglich, deshalb startet im Sommer ein neuer Ausbildungskurs für Telefon- und Chat-Seelsorge in Wolfsburg.
„Wenn ich ein Gegenüber habe, das mir einfühlsam zuhört, kann ich mich selbst erklären. Und im Gespräch kann ich neu sortieren und komme dabei manchmal auf Lösungen, auf die ich allein nicht gekommen wäre“, erlebt Pastorin und Telefonseelsorge-Ausbilderin Anja Niehoff immer wieder. Denn wer kein Gegenüber hat, läuft Gefahr, sich mit Problemen im Kreis zu drehen und keinen Weg aus dem Dilemma zu finden. „Es geht darum, den Blick zu weiten und damit auch das Empfinden. Denn wenn Menschen in Not sind, verengen sich Denken und Fühlen.“ Telefonseelsorgende servieren keine Lösungen, sondern lassen durch vorurteilsfreies Zuhören und Nachfragen die Hilfesuchenden die für sie passenden Problemlösungen finden. „Es ist eine andere Art des Zuhörens.“
Wer das lernen möchte, wird dabei auch für sich selbst dazulernen. „Die Ausbildung und die seelsorgerliche Arbeit am Telefon und im Chat ist auch ein persönlicher Reifungsprozess. Davon profitieren auch die Ehrenamtlichen selbst.“, sagt Anna Schüßler, die gemeinsam mit Pastorin Anja Niehoff die Ausbildung leiten wird. Lernen können die Teilnehmenden also nicht nur Techniken der Gesprächsführung und Grundlagen aus Psychologie und Seelsorge. Begleitet werden sie dabei auch von Ehrenamtlichen, die bereits langjährige Erfahrungen haben. Übrigens: Immer mehr junge Menschen wenden sich mit ihren Fragen an die Telefonseelsorge, häufig via Chat. „Wir erleben, dass die Gespräche im Chat oft sehr schnell sehr existenziell werden: Streit mit den Eltern oder Freunden, Mobbing, Liebeskummer, Selbstwerthemen, Suizidalität.“
Mehr als 10.000 Telefonate jährlich und viele Mail- und Chat-Gespräche führen die 55 Ehrenamtlichen des Wolfsburger Teams heute, was bei weitem den Bedarf nicht deckt. Das Ehrenamt für die Telefonseelsorge ist sinnstiftend, denn es geht darum, für Menschen auch in Einsamkeit, Krankheiten, Konflikte, Ängste, Depressionen ein Gegenüber zu sein. Um dafür gut gerüstet zu sein, sind die Ehrenamtlichen eingebunden in ein engagiertes Team, gehören zum Tätigkeitsalltag auch regelmäßige Supervisions- und Reflexionsangebote, Mitarbeitendentreffen, Fortbildungen und auch gemeinsame Feste.
Der Ausbildungskurs dauert ein Jahr, zwei Abende im Monat mit Ausnahme der Schulferien findet der Unterricht statt. Ausbildungsgebühren werden nicht fällig, die Teilnehmenden verpflichten sich im Anschluss an die Ausbildung für eine gewisse Zeit zu regelmäßigen Diensten. Interessierte müssen keine formalen Voraussetzungen erfüllen, das Mindestalter ist 25 Jahre. Weitere Infos gibt es unter 05361-398720, per E-Mail an telefonseelsorge.wolfsburg@evlka.de oder auf der Website www.telefonseelsorge-wolfsburg.de. Der Kurs beginnt am Samstag, 23. August.