So viele Überstunden schiebt Wolfsburg
Gewerkschaften warnen: Abschaffung des 8-Stunden-Tages könnte für längere Arbeitszeiten sorgen

Gestretchte Arbeitszeit: Die Stunden im Job lassen sich nicht wie ein Gummiband ziehen, meint die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten.Foto: NGG/Tobias Seifert
Wolfsburg. Wolfsburg schiebt ordentlich Überstunden: Rund 4,2 Millionen Stunden haben Beschäftigte im vergangenen Jahr in Wolfsburg zusätzlich gearbeitet. Davon rund 2,3 Millionen Überstunden zum Nulltarif – ohne Bezahlung. Das geht aus dem „Arbeitszeit-Monitor“ hervor, den das Pestel-Institut im Auftrag der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) gemacht hat. Allein in Hotels und Gaststätten in Wolfsburg wurden im vergangenen Jahr rund 40.000 Überstunden geleistet - rund 52 Prozent davon waren unbezahlt.

Die Gewerkschaft warnt: Der Überstundenberg in Wolfsburg dürfte demnächst noch größer werden. Grund seien Pläne der Bundesregierung, die Arbeitszeit neu zu regeln: „Schwarz-Rot will eine wöchentliche Höchstarbeitszeit und den 8-Stunden-Tag abschaffen. Betriebe könnten von ihren Beschäftigten dann verlangen, auch 10, 11 oder in der Spitze sogar 12 Stunden und 15 Minuten pro Tag zu arbeiten“, sagt Katja Derer von der NGG Süd-Ost-Niedersachsen-Harz. Schon jetzt betrage die maximale Arbeitszeit 48 Stunden pro Woche. In der Spitze seien sogar 60-Stunden-Wochen möglich.

„Das sind Extrem-Arbeitswochen. Doch noch schlimmer wird es, wenn die Bundesregierung jetzt tatsächlich den 8-Stunden-Tag kippt. Dann würde nämlich nur noch das europäische Recht ein Wochen-Limit für die Arbeitszeit setzen. Und das wäre brutal: Arbeitgeber könnten ihre Beschäftigten dann sogar zu 73,5-Stunden-Wochen verdonnern – nämlich zu sechs Tagen à 12 Stunden und 15 Minuten im Job. Das wäre fast das doppelte Wochen-Pensum von heute“, so Derer. „Viele Arbeitgeber in Wolfsburg würden das hemmungslos ausnutzen. Es drohen dann völlig überladene Arbeitswochen, bei denen man die Stunden, in denen man nicht schläft, fast komplett im Job oder auf dem Weg zur Arbeit verbringt. Dabei würde ein Riesenberg an Überstunden auflaufen. Und ans Abfeiern der Überstunden ist sowieso nicht zu denken – bei dem Fachkräftemangel, der überall herrscht.“

Die Geschäftsführerin der NGG Süd-Ost-Niedersachsen-Harz spricht von einem „Arbeitszeit-Monopoly“ der Bundesregierung: „Für Beschäftigte bedeutet das: Arbeiten bis ans Limit – und darüber hinaus“, so Derer. Sie hat dabei die Gesundheit der Beschäftigten im Blick, aber auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf: „Bei mehr als acht Stunden Arbeitszeit steigt die Gefahr von Arbeitsunfällen rasant an. XXL-Arbeitstage bedeuten auf Dauer eine Belastung für den Körper und für die Psyche: von Herz-Kreislauf- und Stoffwechsel-Erkrankungen bis zum Burnout“, so Derer.

Außerdem im Fokus der Gewerkschaft: Wer die Familie, den Beruf und die Pflege von Angehörigen unter einen Hut bringen müsse, brauche vor allem eines – planbare und verlässliche Arbeitszeiten. Und die müssten auch zu den Betreuungszeiten von der Kita und vom Hort passen. Schon heute jonglierten Familien zwischen Job, Kinderbetreuung oder der Pflege von Angehörigen.

Flexible Arbeitszeiten im Rahmen des Arbeitszeitgesetzes und durch Tarifverträge sind bereits für viele Beschäftigte Alltag. „Noch mehr Flexibilität ist gar nicht nötig“, so Derer. Außerdem ersetzten 10- oder 12-Stunden-Tage keine fehlenden Fachkräfte. „Gute Arbeitsbedingungen, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, systematische Qualifizierung und mehr Ausbildung. Das sind die richtigen Hebel für mehr Fachkräfte. Verschiebereien bei der Arbeitszeit sind nichts anderes als das Löcherstopfen bei einer zu dünnen Personaldecke“, so Katja Derer.

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