Die Trauer des Pastors um sein Sternenkind
Engagement des Kulturvereins: Historischer Grabstein an Heiligendorfer Kirche angebracht

Ute Lange, Hilko Niedringhaus und Martina Weinert (rechts) vom Kulturverein haben sich darum gekümmert, dass der Grabstein aus dem 1746 an der Kirche angebracht wurde. Bildhauer Rainer Scheer (links) realisierte das Vorhaben.Foto: Gero Gerewitz
Heiligendorf. Rainer Scheer bohrt zwei Löcher in die Außenwand der Kirche. Der Grabstein hängt an einem kleinen Kran. Velpker Sandstein, 180 Kilogramm schwer. Der Bildhauer aus Hattorf bringt die Vorrichtung an und richtet den Grabstein an der Mauer aus. Nach wenigen Stunden ist er fertig. Die St.-Adrian-Kirche in Heiligendorf hat seit Samstag einen neuen Gedenk- und Erinnerungsort. Und es wurde ein Stück Lokalgeschichte wieder sichtbar gemacht.In mehrfacher Hinsicht ist es ein ungewöhnlicher Gedenkstein. Es ist ein alter Grabstein aus dem Jahr 1746, der jetzt gewissermaßen an seinen Ursprungsort zurückgebracht wurde. „Der Stein wurde bei Hofarbeiten in Heiligendorf gefunden“, erzählt Martina Weinert vom Heiligendorfer Verein für Kultur- und Brauchtumspflege. Zusammen mit ihren Vorstandskollegen, darunter Ute Lange und Hilko Niedringhaus, hat sie sich darum gekümmert, dass das historische Erbe gewahrt wird.

Denn der Stein erzählt eine besondere Geschichte, nämlich die von der Trauer des Heiligendorfer Pastors Leisewitz um seinen totgeborenen Sohn. Heute würde man von einem „Sternenkind“ sprechen. Im 18. Jahrhundert dagegen waren die Familien kinderreicher, die medizinische Versorgung mit der heutigen nicht ansatzweise zu vergleichen. Dass Kinder tot geboren wurden, kam häufiger vor. Vor allem aber war der Umgang mit diesen Schicksalen ganz anders.

Als „Sternenkinder“ werden heute Babys bezeichnet, die vor, während oder kurz nach der Geburt sterben. Der Begriff wurde etabliert, um die Trauer um die tief empfundene Bindung zu würdigen, anstatt den Fokus auf Bezeichnungen wie „Totgeburt“ oder „Fehlgeburt“ zu legen. Das Bild des Sternenkindes vermittelt, dass das Kind den Himmel erreicht hat, bevor es die Welt erblicken durfte.

Noch bis in die 1980er Jahre wurden Totgeburten häufig tabuisiert. Angenommen wurde, Frauen würden traumatisiert, wenn sie ihr tot geborenes oder kurz nach der Geburt verstorbenes Sternenkind sehen oder gar berühren.

Heute geht man viel sensibler mit dem Thema um. Es gibt Beratungsstellen, Gesprächskreise und Organisationen, die betroffene Familien unterstützen. Längst ist ein internationaler Gedenktag etabliert worden, der immer am 15. Oktober begangen wird. Während totgeborene Babys früher in den Familienbüchern meist nicht auftauchten, spielt das Abschiednehmen heute eine wichtige Rolle. Die „Sternenkinder“ erhalten häufig einen Namen. Außerdem kann in Deutschland seit 2013 die Geburt von Sternenkindern beim Standesamt dokumentiert werden. Das geht auf eine Petition zurück, die Sterneneltern beim Bundestag eingereicht hatten.

All das zeigt, wie bemerkenswert die Geschichte des Heiligendorfer Pastors ist. „Es ist außergewöhnlich, dass dieser Stein entdeckt und der Pastor in dieser Form getrauert hat“, fasst Ute Lange vom Kulturverein zusammen.

Der Stein in Heiligendorf wurde vor etwa drei Jahren entdeckt. Hintergrund ist, dass der Friedhof an der Kirche im Jahr 1891 stillgelegt worden war. Der neue Friedhof wurde am Steinweg Richtung Neindorf angelegt. Viel später, in den 1950er und -60er Jahren, wurden die alten Steine entfernt. „Der ein oder andere Stein wurde für die Pflasterung von Hofanlagen genutzt“, sagt Martina Weinert. „Heute tauchen einige dieser Steine bei Renovierungsarbeiten wieder auf.“

In diesem Fall war es so, dass der Grabstein mit der Schrift nach unten verlegt worden war, sodass diese noch gut zu lesen war. Allerdings war der Grabstein in der Mitte zerbrochen. Bildhauer Scheer hat ihn wieder zusammengeklebt und gereinigt. Der Stein ist jetzt gut lesbar an der Rückseite der Kirche zu finden.

Die Leute des Kulturvereins haben sich auch um eine Übersetzung gekümmert. „Hier ist beigesetzt drittes Kind vor der Geburt 4. Februar 1746 bereits gestorben Herz als das wie in Frieden ausruhen kann dieser verlässlich Fels gekümmert der sehr traurige bescheidene Vater Johann Godofried Leisewitz“ steht auf dem Stein.

Leisewitz wurde 1706 in Celle geboren. Seinen Dienst in Heiligendorf trat er im Juli 1739 an. Bis zu seinem Tod am 4. April 1773 blieb er Pastor in Heiligendorf. Seine Grabplatte befindet sich neben dem Altarraum in der Kirche - der Grabstein seines Sohnes ist seit Samstag nur wenige Meter entfernt.

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