Doch der Reihe nach: Larissa kam mit einer globalen Entwicklungsstörung zur Welt, kann nicht sprechen, leidet an Epilepsie und ist erblindet. Sie hat den Pflegegrad 4 (von 5) und muss rund um die Uhr betreut werden. Neun Stunden pro Tag wird sie von einer Intensiv-Pflegekraft betreut, sie begleitet die Fünfjährige auch in die Kita „Villa Kunterbunt“ der Wolfsburger Lebenshilfe.
Nur so ist es Sandra Lohkamp noch möglich, halbtags arbeiten zu gehen. Ihr Mann Björn arbeitet Vollzeit, sie haben beide ein weiteres (gesundes) Kind: den siebenjährigen Mads. „Larissa braucht eine 1:1-Betreuung“, sagt sie. Das heißt: Familienleben und Sohn Mads müssten oft hinten anstehen, weil der Fokus klar auf Larissa liege. „Die Möglichkeit der Kurzzeitpflege im Aegidius-Haus ist für uns eine schöne Auszeit – und Larissa weiß ich dort super aufgehoben." Sie merke an der Mimik ihrer Tochter, dass sie sich im Aegidius-Haus sehr wohlfühle. Fazit: Alle Familienmitglieder haben etwas von dieser Auszeit.
„Genau diese Auszeit wird uns jetzt genommen“, sagt die Mörserin. 2026 werde es „keine Möglichkeit für Urlaub und Familienzeit nur mit unserem Sohn Mads geben“. Hinzu kommt Umzugsstress: „Wir ziehen nächstes Jahr um. In einen Bungalow, in dem es ebenerdig, barrierefrei ein Badezimmer und ein Kinderzimmer gibt. Im jetzigen Haus haben wir beides oben. Das funktioniert auf Dauer nicht mit Larissa.“ Ursprünglich sei geplant gewesen, ihre Tochter in der Umzugsphase in die Kurzzeitpflege zu geben – „wir hätten ihr den Umzugsstress gerne erspart“.
Der Geschäftsführung des Aegidius-Hauses Auf der Bult in Hannover sei diese Problematik bewusst, schreibt sie in einer offiziellen Mitteilung auf der Website der Einrichtung. Man wisse, so heißt es dort, „wie wichtig die Kurzzeitpflege als Ort der Entlastung, der Sicherheit und des Vertrauens“ sei. Aufgrund von Fachkräftemangel könne man das bisherige Angebot aber nicht mehr aufrechterhalten und müsse den Betrieb ab Mitte Dezember „ruhend“ stellen. Trotz intensiver Bemühungen gestalte sich die Personalgewinnung als „äußerst schwierig“. Aber: „Falls es doch gelingen sollte, kurzfristig Pflegepersonal zu gewinnen, wird der Betrieb weitergeführt.“
Was die Situation für Sandra und Larissa Lohkamp so problematisch macht: „Das Team im Aegidius-Haus ist super. Ich kann dort Tag und Nacht anrufen, dort kann mir immer jemand bei Fragen helfen“, sagt Sandra Lohkamp. Sollte das Aegidius-Haus schließen, gebe es als Alternative in Niedersachsen nur noch die Einrichtung „Kiola“ in Oldenburg – in 240 Kilometern Entfernung.
Auf Anfrage unserer Zeitung teilt eine Sprecherin des Aegidius-Hauses mit: Man könne Familie Lohkamp bei Bedarf auch Kontakte zu Einrichtungen in Syke und Hamburg vermitteln. Das Problem dabei: Beide Einrichtungen sind Kinder-Hospize: „Das kommt für uns als Familie aktuell noch nicht in Frage“, betont Sandra Lohkamp.
Das Aegidius-Haus teilt weiter mit: „Derzeit prüfen wir die Möglichkeit, einen eigenen Bereich innerhalb der Gebäude unseres Jugendkrankenhauses einzurichten. Dort könnten vergleichbare räumliche Bedingungen geschaffen werden (...), bei gleichzeitig besserer personeller und infrastruktureller Anbindung.“ Hintergrund: Sowohl das Aegidius-Haus als auch das Kinderkrankenhaus Auf der Bult haben die Stiftung Hannoversche Kinderheilanstalt als Träger.
Sandra Lohkamp hält das für keine gute Lösung und verweist auf die Initiative „Rettet das Aegidius-Haus“: Dort heißt es, dass eine Kurzzeitpflege nicht in ein Krankenhaus gehöre. Sie sei Teil von Teilhabe für Kinder neben der Entlastung der Eltern. Denn dort – im Krankenhaus – seien viele Betroffene eben wegen ihrer Erkrankung „oft genug“.
Eine Sprecherin des Landesministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung teilt auf Anfrage unserer Zeitung mit: Man habe das Aegidius-Haus seit über 15 Jahren finanziell gefördert und auch für die Jahre 2026 und 2027 eine weitere Förderung zugesagt. Die solle dazu dienen, bei der „Umstellung des Betriebsmodells des Aegidius-Hauses auf eine wirtschaftlich tragfähige Basis zu unterstützen“. Doch dieses Konzept habe die Stiftung Hannoversche Kinderheilanstalt bis heute nicht vorgelegt.
Mittlerweile gebe es im Ministerium eine Aufstellung von Alternativen für betroffene Familien. „Bei den alternativen Angeboten handelt sich um Einrichtungen aus den Bereichen Kinder- und Jugendhospize (diese bieten auch geplante Kurzzeitaufenthalte an, nicht nur in der letzten Lebensphase), ambulante Kinder- und Jugendhospizdienste, ambulante Kinderkrankenpflegedienste, Einrichtungen, die auch eine Abteilung ‚Junge Pflege‘ vorhalten, Angebote der Verhinderungspflege, Einrichtungen der Intensivpflege sowie Einrichtungen der Eingliederungshilfe", so die Sprecherin.
Konkret könnten sich Familien bei folgenden Stellen beraten lassen: Kranken- und Pflegekassen, Koordinierungsstelle in Niedersachsen für Kinder und Jugendliche mit chronischer Erkrankung sowie Netzwerk für die Versorgung schwerkranker Kinder und Jugendlicher e.V. Sie betont: „Engpässe in der Versorgung der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Kurzzeitpflege werden voraussichtlich vermieden werden können.“