„Es wurde sehr viel geredet – und ich habe jetzt die Schnauze voll“, sagte der Angeklagte nach der rund zweieinhalbstündigen Verhandlung. Der Richter hatte ihm die Möglichkeit geben wollen, vor der Urteilsverkündung etwas zu sagen. Da streckte der Verteidiger den Arm aus und hielt den 44-Jährigen zurück. „Das hilft hier jetzt nicht weiter!“, sagte der Rechtsanwalt zu seinem Mandanten.
Doch der Reihe nach: Zu Prozessbeginn hatte der Angeklagte angegeben, keine Aussagen machen zu wollen. Mit gesenktem Blick und zum Teil geschlossenen Augen hatte er die Verhandlung verfolgt. Die Zeugin – eine 59-jährige Frau, die als Nebenklägerin auftrat – hatte zuvor in einer langen Aussage geschildert, wie es ihr ergangen war.
Laut Anklage der Staatsanwaltschaft hatte der Mann die Frau in seiner Wohnung sexuell bedrängt. Die 59-Jährige war als Krankenschwester angestellt und kümmerte sich seit Juni 2023 acht Stunden täglich um den stark pflegebedürftigen heute 13 Jahre alten Sohn des Angeklagten. Im September 2023 sei es zu dem sexuellen Übergriff gekommen. Der Angeklagte habe gewusst, dass die Frau kein sexuelles Interesse an ihm gehabt habe, da sie frühere Annäherungsversuche abgewiesen habe.
Im Zeugenstand erzählte die 59-Jährige von ihrem Schicksal. Zu Beginn sprach sie mit fester Stimme. Je länger ihre Aussage dauerte und je mehr Details sie preisgab umso deutlicher wurde, wie sehr es sie emotional aufwühlte, die zwei Jahre zurückliegenden Ereignisse zu vergegenwärtigen. Sie hatte ihren Mantel ausgezogen, und ihr Schal war zu Boden gefallen. Unter Tränen und mit einem Zittern am ganzen Körper brachte sie ihre Aussage zu Ende.
Sie war seit Frühsommer 2023 als Krankenschwester in der Wohnung des Mannes am Laagberg tätig gewesen. Der schwer kranke Sohn des geschiedenen Angeklagten benötigte Pflege rund um die Uhr. Als sie den Jungen kennengelernt hatte, habe sie ihn sofort ins Herz geschlossen. „Der war einfach goldig!“, erzählte sie.
Zwei Wochen, nachdem sie die Pflegetätigkeit aufgenommen hatte, saß sie im Kinderzimmer auf einem Stuhl. Der Angeklagte sei auf sie zugekommen und haben sie auf den Mund küssen wollen. Sie habe ihre Hände davor gehalten und gesagt: „Ich möchte das nicht.“
Der Mann habe sich die nächste Zeit an ihr „Nein“ gehalten. „Wir haben etwas aufgebaut und uns die Pflege seines Sohnes geteilt“, berichtete sie. Anfang September 2023 sei es dann zu dem Übergriff gekommen. Sie hatte gerade die Windeln des Jungen gewechselt, stand mit dem Rücken zur Tür. Da sei der Mann unvermittelt hinter sie getreten und die Frau habe seinen Atem im Nacken gespürt.
Der Angeklagte habe ihren Hals geküsst und seine Hände auf ihre Brüste gelegt. „Ich wusste gar nicht, wie mir geschieht. Es war furchtbar. Ich hielt seine Hände fest und er flüsterte mir ins Ohr: ‚Du bist so geil.‘" Sie sei total geschockt gewesen. Ihre Gedanken kreisten auch um das Kind, das alles mit ansehen musste. Der Angeklagte habe seinen Penis an ihrem Gesäß – beide waren bekleidet – gerieben und nach seiner Ejakulation von ihr abgelassen.
Ihrem Mann gegenüber konnte sie anschließend nicht verbergen, dass etwas nicht stimmte. „Wenn man sich 40 Jahre kennt, dann spürt man das sofort“, sagte der 60-jährige Ehemann in seiner Zeugenaussage. Er habe darauf gedrängt, die Polizei sofort einzuschalten. Da sie aber den schwerkranken und der Sprache nicht mächtigen Jungen nicht im Stich habe lassen wollen, sei sie weiter ihrer Arbeit nachgegangen.
Im Folgenden hätten sich zunehmend weitere Männer in besagter Wohnung aufgehalten. Das habe ihr Angst gemacht. Die Frau habe sich immer unwohler gefühlt und sich im Zimmer des Jungen verbarrikadiert. Im September 2024 habe der Angeklagte sie dann lautstark herausgeschmissen. Ihrem Arbeitgeber habe sie dann alles erzählt. Anschließend sei sie in ein Loch gefallen. Sie habe unter Verfolgungsängsten gelitten und schließlich mit der Polizei gesprochen. Dann sei sie in Therapie gegangen.
Die Staatsanwältin sah keine Zweifel an den Aussagen der Zeugin. Auch wenn die Anzeige erst ein Jahr später erfolgte. Die Pflege des Kindes sei ihr über alles gegangen. „Sie konnte sich erst um sich selbst kümmern, nachdem der Angeklagte sie rausgeworfen hatte.“ Das Gesetz sieht für einen sexuellen Übergriff ein Strafmaß zwischen sechs Monaten und fünf Jahren vor. Die Staatsanwaltschaft plädierte für 10 Monate und eine Zahlung von 1800 Euro an das Frauenhaus. Die Anwältin der Zeugin sagte, dass es zwei Opfer gebe, den Jungen und ihre Mandantin. Ob 10 Monate Strafe ausreichten, möge das Gericht entscheiden, sie plädierte dafür, dass der Nebenklägerin eine Entschädigung gezahlt werde.
Der Verteidiger des 44-Jährigen plädierte auf Freispruch. Aussage stehe gegen Aussage – und im Zweifel sei für den Angeklagten zu entscheiden. Der Richter folgte in seinem Urteil dahingehend der Staatsanwaltschaft, dass er den 44-Jährigen zu einer einjährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilte, 1800 Euro muss er zudem an das Frauenhaus zahlen. Es gebe zwar keine Spuren der Tat, aber die Angaben der Zeugin seien in sich schlüssig und hätten keine Widersprüche gezeigt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.