Aus Mitte-West wird Waldstadt:
Wolfsburger äußern Kritik
Lesermeinungen über fehlende Bürgerbeteiligung und Kosten

Klieversberg: Der Stadtteil gehört zum Ortsratsgebiet Mitte-West, das Teil der „Waldstadt“ wird.Foto: Roland Hermstein
Wolfsburg. Der politische Bezirk „Mitte-West“ wird in „Waldstadt“ umbenannt. Das ist beschlossene Sache seit der Ratssitzung im Dezember. Die neue Waldstadt umfasst die Stadtteile Eichelkamp, Hageberg, Hohenstein, Klieversberg, Laagberg, Rabenberg und Wohltberg. Rund 18.000 Menschen betreffen die Änderungen – sie alle wohnen künftig im neuen Bezirk mit neuem Namen. Doch gut finden das längst nicht alle.

Mit der Umbenennung des bisherigen Bezirks „Mitte-West“sollen mehrere Ziele verfolgt werden. So soll der neue Name „Waldstadt“ beispielsweise die Identifikation der Bewohnerinnen und Bewohner mit ihrem Bezirk stärken, hieß es aus dem Ortsrat Mitte-West. Doch auch in dem politischen Gremium wurde das Vorhaben durchaus kontrovers diskutiert.

Und die geplante Umbenennung stößt darüber hinaus auf Unmut. Auf Facebook wird der neue Name kritisch betrachtet. Viele Nutzerinnen und Nutzer reagieren mit deutlicher Kritik – vor allem an den Kosten und am fehlenden Nutzen der Entscheidung. Mehrfach ist von „Geldverschwendung“ die Rede. Ein User kommentierte: „Wer keine Arbeit hat, macht sich welche – was kostet der Unsinn wieder?“ Ein anderer fragt, warum der Bezirk überhaupt umbenannt werden müsse und ob es „keine anderen Sorgen“ gebe.

Neben der Kostenfrage äußern zahlreiche Nutzer der sozialen Medien Unverständnis darüber, dass die Einwohnerinnen und Einwohner aus ihrer Sicht nicht ausreichend beteiligt worden seien. „Ich verstehe nicht, warum wir Einwohner nicht gefragt werden“, heißt es in einem Kommentar. Ein weiterer Nutzer vermutet, es seien Gelder gewesen, „die im neuen Jahr verfallen und unbedingt ausgegeben werden mussten“.

Auch Rudi Karg, der selbst seit 20 Jahren in Mitte West wohnt, beanstandet in einem Leserbrief die mangelnde Bürgerbeteiligung: „Nun sind im Rat der Stadt mehrheitlich die ‚Würfel gefallen‘: Der kommunale Wahlbezirk Mitte West heißt zukünftig ‚Waldstadt‘. Nach meiner kritischen Meinung über diese romantische Benennung mehrerer Stadtteile habe ich mehrere Anrufe von Bürger und Bürgerinnen aus den betroffenen Stadtteilen bekommen. Alle äußerten sich zur neuen Stadtteilbezeichnung ablehnend. Es ist daher entlarvend, wenn ein Ratsherr und Ortsbürgermeister dieses Bereiches öffentlich erklärt, dass seine mehrheitliche Meinung von Bürgern in der Umfrage nicht so entscheidend sei, da die Kommunalpolitiker dies schließlich entscheiden. Die Bürgerbeteiligung hätte in diesem Entscheidungsprozess ein Beispiel ergeben können, wie eine - auch aus Teilen der Politik gewünschte Ergänzung der parlamentarischen Entscheidungen durch eine außerparlamentarische Bürgerbeteiligung (Bürgerforum, Bürgeranhörung etc.) realisiert werden kann. Durch den neuen Namen „Waldstadt“ wird weder die Lebensqualität des ehemaligen Wahlbezirks Wolfsburg Mitte West, noch die Identifikation der Bewohner durch den Namen „Waldstadt“ verändert. Die Folgen sind einzig die entstehenden Kosten für das ‚Umstellungsmanagement‘.“

In einem anderen Leserbrief hinterfragt der Wolfsburger Peter Müller mit deutlich spürbarer Ironie die Entscheidung des Rates:

„Grandiose Idee, ‚Mitte-West‘ in ‚Waldstadt‘ umzubenennen. Das gibt doch den jahrzehntelang bekannten Stadtteilen einen würdigeren Namen. Dafür haben diverse Ratsleute mehr als ein Jahr und sicher äußerst kostengünstig einen runden Tisch gebildet und alle Für und Wider abgeklärt. Respekt! Die offizielle namentliche Umbenennung in voraussichtlich nur 11 Monaten erlangen zu können, zeigt, dass der Bürokratieabbau in vollem Umfang zum Tragen kommt. Glückwunsch! Mehr kann doch der ‚Wolfsburger‘ wirklich nicht noch verlangen."

Auch Uwe Hackländer, Ortsbürgermeister von Neuhaus/Reislingen äußerte in einem Leserbrief an die WAZ, dass die Bürgerbeteiligung bewusst vermieden wurde:

„Wolfsburg hat es wieder geschafft: Während andernorts Städte Wohnraum schaffen, Schulen sanieren oder Busse fahren lassen, beweisen wir Innovationskraft auf dem einzigen Feld, das garantiert immer wächst – auf dem Papier. Der Stadtrat hat mit knapper Mehrheit beschlossen, ‚Mitte-West‘ in ‚Waldstadt‘ umzubenennen. Ein großer Schritt für die Botanik, ein kleiner für die Vernunft. Dass für dieses Vorhaben bereits Steuergelder in den Sand gesetzt wurden – Pardon: in den Wald – ist offenbar kein Makel, sondern Konzept. Bürgerworkshops gab es auch. Ich stelle mir das so vor: 10 Anwesende von möglichen 18.000, also ein Quorum nach der bewährten Methode ‚Wer nicht da ist, stimmt zu‘. Die restlichen 17.990 waren vermutlich gerade verhindert – sie mussten arbeiten, Kinder betreuen oder Geld verdienen, das dann in neue Schilder investiert werden kann. Schon an dieser Stelle hätte man die Reißleine ziehen können. Doch Wolfsburg wäre nicht Wolfsburg, wenn man sich von Realität irritieren ließe. Statt nach links und rechts zu schauen, wird weiter marschiert: Geradeaus in Richtung ‚Kommunikationsmaßnahme‘, ‚Imagekampagne‘ und ‚Wir erklären euch jetzt, warum ihr das gut findet‘.

Die letzte Chance auf Einsicht wurde ebenfalls elegant umschifft: Eine Bürgerbeteiligung am 13.09.2026, dem Tag der Kommunalwahl. Das hätte ja den gefährlichen Eindruck erwecken können, Bürger dürften mitentscheiden – und nicht nur mitbezahlen. Nun wird also vermittelt, dass mit der ‚Waldstadt‘ alles schick wird. Ich sehe es schon vor mir: Flyeraktionen (frisches Altpapier für die blauen Tonnen), Plakatkampagnen (damit auch wirklich niemand aus Versehen ‚Mitte-West‘ sagt) und selbstverständlich ein Imagefilm. Vermutlich mit dramatischem Drohnenflug über Bäume, die vorher auch schon da waren – aber nun offiziell. Die Sehquote dürfte ungefähr auf dem Niveau liegen, das man erreicht, wenn man im Wald flüstert und auf Applaus wartet.

Und weil wir schon beim Werbegefühl sind: Der bekannte Spot mit Boris Becker lässt grüßen – nur dass diesmal nicht ‚Ich bin drin‘ gilt, sondern ‚Wir sind drin: im Budgetloch‘. Und wenn das Ganze am Ende doch niemandem einleuchtet, bleibt immer noch der Klassiker: ‚Es muss ja nur richtig kommuniziert werden.‘ In Wolfsburg ist Kommunikation offenbar das neue Problemlösen. Rumpelstilzchen lässt grüßen: Aus ‚Mitte-West‘ wird ‚Waldstadt‘, und aus Steuergeld wird – schwupp – Marketing. Wolfsburg ist eben nicht nur Autostadt. Nein: Wir können sogar Waldstadt. Zumindest auf Schildern."

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