Warum er damals, 2014 war das, mit dem Spielen angefangen hat, das weiß der 51-Jährige aus dem Landkreis Peine nicht. „Es war so ein schleichender Prozess.“ Zunächst spielte er mit einem Kumpel an Spielautomaten, irgendwann gefiel ihm die Atmosphäre in der Spielhalle nicht mehr, da ging er ins Casino. Waren es erst kleinere Beträge, die er einsetzte, waren es nun Große. „Teilweise habe ich 30.000 Euro gewonnen, die habe ich sofort wieder eingesetzt.“ Mit einem Gewinn in der Tasche ging er nie nach Hause.
„Das Schlimmste war, das geheim zu halten vor meiner Frau“, sagt der 51-Jährige heute. Fünf Jahre lang ging das so. „Das war richtige Schwerstarbeit.“ Immer musste er dafür sorgen, dass genug Geld auf dem Konto war, damit sie ihre Einkäufe davon bezahlen konnte. Schließlich löste er die Sparverträge auf, um seine Sucht zu finanzieren. „Als meine Frau dann ran wollte, war nichts mehr da. Da ist natürlich alles aufgeflogen.“ Er erzählte seiner Frau von seiner Spielsucht. „Das war befreiend, als wäre mir ein großer Felsen vom Herzen gefallen. Sie war natürlich schockiert, aber sie hat reagiert, wie ich es nie erwartet hätte – sie hat sich schlau gemacht und mich dann in die Therapie geschickt, mir in den Hintern getreten.“
Nach acht Wochen stationärem Aufenthalt in einer Klinik – „meine Frau brauchte auch Abstand“ – kehrte er nach Hause zurück. „Seit Oktober 2019 bin ich abstinent, und es läuft“, sagt er. Für Glücksspiele hat er sich deutschlandweit sperren lassen. Seine Frau habe immer hinter ihm gestanden. Sie erkenne auch heute, wenn bei ihm ein leichter Suchtdruck entstehe. „Sie lenkt mich dann ab, oder ich setze mich aufs Fahrrad.“ Dem Rat seines Therapeuten folgend, blickt er nun nur noch nach vorne und nicht mehr zurück. „Das ist auch nicht mein Motto, man kann viel wieder gut machen.“
Christine Bremer kennt viele solcher Fälle. Sie leitet die Fachambulanz des Lukas-Werks an der Bahnhofstraße in Peine. Zuvor hat sie in Braunschweig Glücksspielsüchtige therapiert.
„Es gibt unglaublich viele Spielhallen in Peine“, sagt sie. Elf sind es im Landkreis – nicht mitgezählt die zahllosen Spielautomaten in Kneipen. Besonders viel Zuwachs verzeichneten in den vergangenen Jahren die Sportwetten. „Da wird dann nicht nur auf den Lieblingsfußballverein gewettet, sondern auch auf allen möglichen Kram. Auf alles, auf das gewettet werden kann, wird auch gewettet“, sagt Bremer. Und das auch immer mehr im Internet.
Die Glücksspielsucht ist eine versteckte Krankheit. Ihre Auswirkungen würden nicht offen zutage treten wie bei einer Drogen- oder einer Alkoholsucht. „Aber die Folgen im wirtschaftlichen und im sozialen Bereich sind hoch“, betont die Ambulanzleiterin. „Und auch die Suizidrate ist hoch.“
Knapp 30 Prozent der 18- bis 70-Jährigen in Deutschland haben dem Suchtatlas 2022 zufolge Erfahrungen mit Glücksspiel gemacht. Das beinhaltet auch Lottospielen. Problematischer seien aber andere Glücksspiele, etwa die Spielautomaten. „Das Problem ist die ständige Verfügbarkeit, die hohe Frequenz, mit der man zum Beispiel einen Geldautomaten bedienen kann“, erklärt die Leiterin. Praktisch auf Knopfdruck könnten Betroffene so ihren Alltag, ihre Sorgen abschalten und den Stress ausblenden. „Es ist ein Ausweg, man muss dann an nichts denken.“
Das ändere sich schlagartig, wenn das ganze Geld verspielt ist. Betroffene machten sich dann Sorgen, schämten sich, überlegten, wo sie Geld für die Miete, den Lebensunterhalt, den nächsten Spielhallenbesuch herbekämen. „Aber das eigentliche Problem bleibt außen vor.“
Aber es gebe Möglichkeiten, eine Glücksspielsucht zu therapieren. Der erste Schritt sei, darüber zu sprechen. „Pathologische Spieler verstecken die Problematik, so lange es geht“, schildert Bremer. Da würden Sparbücher von Kindern geplündert, das Taufgeld der Kinder verspielt, manche Süchtige würden sogar zur Geldbeschaffung in die Kriminalität abrutschen. „Oft wird dann eine Beratung aufgesucht, wenn derjenige merkt, dass er die Kontrolle über sein Leben verloren hat.“
Im Gespräch erarbeitet Christine Bremer die Motive für die Spielsucht, berät bei verschiedenen Therapiemöglichkeiten und hilft beim Stellen von Anträgen. Spielsüchtige könnten sich bundesweit in Spielhallen und auch online sperren lassen. „Bei massiven Probleme bietet sich eine stationäre Behandlung an, bei weniger ausgeprägten Fällen eine Therapie in einer Tagesklinik.“ Darüber hinaus gebe es auch noch die ambulante Rehabilitation, die direkt in Peine beim Lukas-Werk möglich ist und über ein Jahr geht. „Hier wird in Gruppengesprächen mit anderen, auch stoffgebundenen Abhängigen, über Probleme gesprochen, zudem gibt es Einzelgespräche.“ Eine solche ambulante Reha schließt sich auch an eine stationäre Behandlung oder einen Aufenthalt in einer Tagesklinik an.
„Man hat gute Chancen, wieder frei zu werden“, sagt Bremer über die Therapieaussichten. „Man kann sein Leben wieder in den Griff kriegen.“ Die Erfolgsquote liege bei 70 Prozent. Männer seien mehr von Glücksspielsucht betroffen als Frauen – jüngere mehr als ältere. „Es gibt einen hohen Anteil türkischer Männer“, hat sie aus ihrer Beratungstätigkeit in Braunschweig mitgenommen. „Es waren viele junge Männer, die recht erfolgreich waren und damit auch viel zu verlieren hatten.“
Das Gefährliche: Glücksspiel macht sehr schnell abhängig. „Es gibt Menschen, die gehen ein Mal in eine Spielhalle, haben das Pech zu gewinnen und wenn sie dann eine Empfänglichkeit dafür haben, sind sie dem Glücksspiel verfallen.“ Betroffene würden sich dann als „Glückskind“ fühlen, im Spielen eine Möglichkeit sehen, ihr Leben zu verbessern. Später seien es dann die Verluste, die Betroffene durch weiteres Glücksspiel wieder hereinholen wollten „Aber man verliert auf lange Sicht immer.“
Im Anschluss an die Reha sei die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe empfehlenswert. Denn die Spielsucht sei eine chronische Erkrankung: „Spieler, die nicht spielen können, haben dann tatsächlich Entzugserscheinungen, wie körperlich Süchtige. Und es gibt dadurch eine Veränderung im Gehirn, die bestehen bleibt“, so Bremer. „Deshalb muss man dranbleiben.“
Hilfe für Glücksspielsüchtige bietet das Peiner Lukas-Werk unter Telefonnummer (0 51 71) 50 81 20.