Ob Disput, Wortwechsel, Meinungsverschiedenheit, Diskussion oder Reiberei – für Konflikte gibt es viele Bezeichnungen. Schon die Wortwahl verrät, welche Bedeutung man der Unstimmigkeit beimisst: Handelt es sich um ein harmloses Geplänkel oder einen richtigen Krach? Gerade nach außen werde der Ausdruck „Streit“ gern vermieden, da er einen negativen Anstrich habe, erläutert die Mediatorin Susanne Galsterer von der Streitschule Nürnberg. „Dabei muss ein Streit keineswegs negativ sein“, betont sie. Wer bestimmte Regeln einhält, kann durchaus konstruktiv streiten.
Optimalerweise lernen schon Kinder am Beispiel Älterer, fair zu streiten. „Wenn man dazu bereit ist, kann man das aber später jederzeit nachholen“, sagt Galsterer. „Man kann lernen, nicht alles zu schlucken und für den Ärger Worte zu finden.“ Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, eigene Bedürfnisse zu erkennen und zu benennen. Bei ihren Beratungen hat sie nämlich festgestellt, dass „viele gar nicht wissen, was sie eigentlich wollen, sondern nur sehen, was sie stört“.
Grundsätzlich gelten für Differenzen in allen menschlichen Beziehungen dieselben Regeln – ob es sich nun um Nachbarn, Kollegen, Freunde oder Partner handelt. Der Unterschied ist nur, dass wir umso verletzlicher sind, je näher uns jemand steht. „Der Nachbarin kann man auch mal eine Weile aus dem Weg gehen, wenn sie eine abfällige Bemerkung gemacht hat“, sagt die Psychologin Isabelle Überall von der Ehe-, Familien- und Lebensberatung der Erzdiözese München und Freising. „Je näher sich zwei Menschen stehen, desto größer ist die emotionale Bindung und desto größer ist auch das Risiko, sie zu gefährden.“
Die Basis für viele Gesprächsstrategien, die von Psychologinnen und Therapeuten im Konfliktfall empfohlen werden, gehen auf das Konzept der „Gewaltfreien Kommunikation“ zurück, das der Psychologe Marshall Rosenberg (1934–2015) vor rund 50 Jahren entwickelte.
Auch für Isabelle Überall ist das ein bewährtes Konzept, auf das sie bei ihren Beratungen gerne zurückgreift. „Wichtig ist, dass man immer bei der konkreten Situation bleibt, an der man sich stört, und das eigene Gefühl ohne Vorwurf benennt“, betont sie. Statt dem anderen genervt an den Kopf zu werfen „Schon wieder kommst du zu spät, wie kann’s auch anders sein!“, könnte man sachlich sagen: „Du bist eine halbe Stunde zu spät. Ich bin unruhig geworden, als ich gewartet habe.“ Der nächste Schritt ist, das eigene Bedürfnis zu benennen und eine Bitte oder einen Wunsch zu formulieren. Das könnte sich so anhören: „Mir ist Pünktlichkeit wichtig. Kannst du bitte versuchen, nächstes Mal rechtzeitig zu kommen?“
In Paarbeziehungen gibt es einige Kommunikationssünden, die man vermeiden sollte. Überall verweist dabei auf die „apokalyptischen Reiter“, die nach der Theorie von US Verhaltenstherapeut John Gottman die Gefahr des Scheiterns einer Beziehung vorhersagen können. Dazu gehören häufige destruktive Kritik, Konfliktvermeidung und eine pauschale Abwehrhaltung. „Wer auf Kritik reflexhaft mit Rechtfertigungen reagiert, ohne den anderen auch nur mal anzuhören, löst keine Konflikte“, erklärt Überall.
Der schlimmste Beziehungskiller ist allerdings Verachtung: Sarkasmus, Ironie, Spott und fiese Kommentare zeugen von Respektlosigkeit der Partnerin oder dem Partner gegenüber. Eine solche Abwertung kann sich auch nonverbal zeigen: „Wenn sich eine Partei bei einer Auseinandersetzung abwendet, mit den Augen rollt und ins Handy schaut, kann das als verletzender empfunden werden, als wenn er mal laut wird“, sagt die Psychologin.
Konstruktives Streiten setzt ein hohes Maß an Selbstreflexion und Beherrschung voraus. Gut ist dabei auch, wenn man eigene wunde Punkte kennt und weiß, dass man überreagiert, wenn sie getroffen werden. Der Züricher Psychologieprofessor Guy Bodenmann empfiehlt, das ganze Gespräch wohlwollend und offen zu führen, sodass für beide Seiten spürbar ist, dass es um die Lösung eines konkreten Problems geht. Dazu trage ein angenehmer Tonfall, eine zugewandte Körperhaltung und eine positive Mimik und Gestik bei.
Am wichtigsten ist laut Bodenmann aber – ähnlich wie bei der gewaltfreien Kommunikation – die „emotionale Selbstöffnung“: Statt einen Vorwurf zu formulieren, sagt man, was einen stört und wie man sich dabei fühlt. Dadurch sei die Chance, dass das Gegenüber Verständnis hat, wesentlich größer, schreibt der Psychologe. Das klingt in der Theorie gut.
In der Praxis sind jedoch gern alle guten Vorsätze vergessen, wenn man rotsieht und richtig wütend wird. Schreien, Toben und Zetern sind dann nicht selten an der Tagesordnung. Das ist zwar nicht gerade zielführend, aber menschlich. Statt sich eine Schlammschlacht zu liefern, ist es in dem Fall besser, „Stopp“ zu sagen und die Auseinandersetzung abzubrechen. Erst dann, wenn sich die Gemüter etwas beruhigt haben, sollte man wieder zum Reden ansetzen. „Wichtig ist, immer wieder, das Gespräch zu suchen, auch wenn das Gespräch zuvor eskaliert ist“, sagt Galsterer. „Man kann sich dann gemeinsam fragen: Was war das denn? Was ist da passiert? Worum ging es wirklich? Um Konflikte lösen zu können, sagt die Mediatorin, brauche es immer Kompromissbereitschaft. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass ein vereinbarter Kompromiss auch nicht in Stein gemeißelt ist, sondern nachgebessert werden kann.