„Für mich hatten Putzen und Aufräumen tatsächlich immer etwas Entspannendes, ich finde darin den perfekten Ausgleich“, sagt sie. Damit ist Intveld nicht allein: Laut einer aktuellen Studie des Industrieverbandes Körperpflege- und Waschmittel (IKW) empfinden viele Menschen Hausarbeit inzwischen als wohltuende Tätigkeit – besonders dann, wenn sie bewusst ausgeführt wird. Fast die Hälfte der Befragten der Studie geben an, dass sie Putz- und Aufräumvideos in sozialen Medien motivieren oder entspannen. Allein das Zuschauen beim Putzen ist also für viele schon wie eine kleine Auszeit. Der Psychiater und Stressforscher Mazda Adli erklärt: „Das Beobachten gleichförmiger Handlungen wirkt ähnlich wie ASMR – es vermittelt Ruhe, ohne dass man selbst aktiv werden muss.“
Intveld gehört hingegen zu denen, die selbst aktiv werden. Statt anderen beim Putzen zuzuschauen, findet sie im Tun ihren Ausgleich. „Wenn mir im Alltag viel über den Kopf wächst oder ich das Gefühl habe, in mir herrscht Unordnung oder Chaos, kann ich das am besten mit dem Putzen kompensieren.“ Die Influencerin fühlt sich am wohlsten, wenn sie weiß, dass ihr Zuhause sauber und ordentlich ist.
Und das hat einen Grund. „In einer Welt ständiger Reizüberflutung sehnen wir uns nach kleinen, klaren Aufgaben“, erklärt Adli. „Putzen ist greifbar, überschaubar, es hat Anfang und Ende. Genau das verschafft Entlastung.“ Und das funktioniert nicht nur beim Aufräumen. Derartige Wohlfühl-Trends kehren regelmäßig zurück, sagt Adli – ob Malbücher, Handarbeiten oder eben Putzen. „Sie alle beruhigen, weil sie einfach, wiederholbar und selbstbestimmt sind.“
Dass Putzen beruhigend wirken kann, überrascht den Stressforscher Adli nicht. „Solche Tätigkeiten verschaffen sichtbare Erfolgserlebnisse – man sieht sofort ein Ergebnis und erlebt sich selbst als wirksam“, sagt er. „In einer Welt, in der vieles unvorhersehbar und komplex ist, kann das sehr stabilisierend wirken.“ Vielleicht ist es genau diese Verlässlichkeit, die viele Menschen so schätzen und die den Trend erklärt.
Ob Putzen tatsächlich entspannend wirkt, hängt laut Adli auch davon ab, wie vertraut die Handlung ist. „Nur wer eine Routine hat, kann sie als Ritual erleben“, sagt er. „Wer sich erst in eine Tätigkeit hineindenken muss, erlebt sie eher als Arbeit denn als Meditation.“ Daher tritt dieser Effekt nicht bei allen Menschen gleichermaßen ein.
Bei Intveld löst das Putzen genau die Entspannung aus, die der Stressforscher beschreibt. Die Influencerin erlebt sie als Mischung aus Struktur, Fürsorge und Ausdruck. „Wenn ich morgens früh die Zeit habe zu putzen, ist das für mich wie eine kleine Selfcare-Session, weil ich mich nach jedem geputzten Raum besser fühle.“
Auf TikTok zeigt Intveld, dass Putzen längst nicht nur funktional, sondern auch stilvoll sein kann. „Ich hatte schon immer großen Spaß daran, Videos ästhetisch zu gestalten“, sagt sie. Gerade in den sozialen Medien gehe es nicht darum, irgendwelche Videos hochzuladen – man müsse auch darauf achten, dass sie „ansprechend gestaltet sind, qualitativ hochwertig sind und die Menschen abholen“. Mit ihren inszenierten Videos steht Intveld für einen Trend, der längst über das Putzen hinausgeht.
Doch wo Selbstfürsorge zum Trend wird, zeigen sich auch Schattenseiten. „Wenn selbst Hausarbeit zum Lifestyle erklärt wird, kann daraus auch Druck entstehen“, warnt Adli. „Wenn das Gefühl entsteht, man müsse nicht nur sauber, sondern perfekt organisiert sein, dann wird Ordnung selbst zum Stressfaktor.“ Was ursprünglich zur Entlastung gedacht war, kann so ins Gegenteil umschlagen. In den sozialen Medien zeigt sich das besonders deutlich, dort stoßen perfekte Abläufe oft auf ebenso viel Kritik wie Bewunderung. „Die meisten kritischen Kommentare kommen von den Leuten, die sich solche Routinen absolut nicht vorstellen können“, erzählt Intveld.
Aber auch wohltuende Rituale brauchen ein gesundes Maß. „Oft habe ich die Kritik gehört, dass das, was ich tue, übertrieben sei und man nicht jeden Tag putzen sollte“, sagt Intveld. „Dabei mache ich jeden Tag Kleinigkeiten, und am Wochenende gönne ich mir kleine Putzpausen.“
Was für die Influencerin selbstverständlich ist, spiegelt einen größeren Trend wider. Immer mehr Menschen entdecken Putzen als Form der Achtsamkeit. Aber ist Putzen nun wirklich das neue Yoga? Im Unterschied zu Yoga oder Meditation, so Adli, sei Putzen keine gezielte Achtsamkeitspraxis – aber die körperlichen Bewegungen könnten ähnliche physiologische Effekte haben. Denn: Wer sich beim Reinigen auf Rhythmus, Bewegung und Ergebnis konzentriert, schaltet ab, ohne bewusst meditieren zu müssen.
Für Intveld ist es längst mehr als nur Abschalten. Ein aufgeräumtes Zuhause, sagt sie, sei für sie die beste Form der Achtsamkeit. Vielleicht liegt genau darin das Geheimnis des Trends. Wer früh aufsteht, um Staub zu wischen, sucht nicht Schmutz – sondern ein Stück innere Ruhe.