Fälle von häuslicher Gewalt
in Peine steigen und steigen
Drohungen und Schläge im eigenen Zuhause, das kommt in der Fuhsestadt bedauerlich oft vor –
Was sich die Leiterinnen des Frauenhauses und einer Beratungsstelle wünschen

Frauen sind meist die Opfer: Seit mehreren Jahren registriert die Polizei immer mehr Fälle von häuslicher Gewalt in Peine.Foto: tinnakornlek/123
Kreis Peine. Es sind schwierige Einsätze für die Peiner Polizei und ihre Zahl nimmt seit drei Jahren im Landkreis dramatisch zu. Häusliche Gewalt! „Auch für das Jahr 2025 ist eine steigende Tendenz erkennbar“, sagt Polizeisprecherin Melanie aus dem Bruch.

Es wird geprügelt, geschubst, bedroht, geschrien – in fast allen Fällen sind Frauen das Opfer. 383 Fälle von häuslicher Gewalt gab es bereits im Jahr 2022 im Zuständigkeitsbereich des Polizeikommissariats Peine. 2023 stieg die Zahl bereits auf 428 Taten. 2024 wurde mit 494 Taten fast schon die 500er-Marke gerissen. In diesem Jahr dürfte es aber so weit sein. Eine Grusel-Bilanz! „Wir haben viel zu tun. Ich bin am Limit“, sagt Kathrin Sahin, die Leiterin der Peiner Beratungs- und Interventionsstelle bei häuslicher Gewalt (BISS).

Mit 15 Stunden pro Woche ist ihre vom Landkreis Peine finanzierte Stelle versehen. Kathrin Sahin bekommt die Einsatzberichte der Polizei und berät die Opfer. In den Weihnachtsferien gönnt sie sich keinen Urlaub. Denn wenn Leute unter Druck stehen, dann steigt auch die häusliche Gewalt. Weihnachten, das weiß die BISS-Leiterin, ist zu oft kein Fest der Liebe.

Stefanie Weigand leitet das Peiner Frauenhaus, die steigenden Zahlen der häuslichen Gewalt, erschüttern auch sie. Sie erklärt sich den Zuwachs vor allem mit der „multiplen krisenhaften Zeit, in der wir gerade leben“. Wirtschaftssorgen, Kriegssorgen – es baut sich Druck auf, und irgendwann ist so viel Dampf auf dem Kessel, dass es explodiert. „Krisen brechen sich auf alle Systeme herunter, bis in die Familie“, sagt sie.

Kathrin Sahin vermutet zudem, dass Betroffene von häuslicher Gewalt inzwischen besser wissen, wie sie sich Hilfe holen können. „Das Thema ist in die Öffentlichkeit gekommen. Aber trotzdem: Die Dunkelziffer ist immer noch sehr hoch“, sagt sie.

Doch die Fälle, die bekannt sind, stellen die Peiner Polizei vor eine besondere Herausforderung. Sensibel, komplex, hoch emotional – die Einsatzkräfte müssen auf der Hut sein. „Die Polizei hat bei diesen Einsätzen sehr besonnen, gleichzeitig aber auch konsequent zu reagieren, um die Opfer zu schützen, Beweismittel zu sichern und weitere Straftaten zu verhindern“, betont Polizeisprecherin Melanie aus dem Bruch. Wenn die Polizei gerufen wird, sei die Lage vor Ort oft sehr emotional aufgeladen. „Die Beteiligten sind oftmals aufgebracht, ängstlich oder aggressiv, was die Deeskalation erschwert.“

In vielen Fällen würden die Polizisten beim Einschreiten die Wohnanschrift und damit den privaten Schutzbereich und das persönlichste Umfeld der Beteiligten betreten. Oftmals seien Kinder anwesend, die nicht nur die vorherige häusliche Gewalt, sondern auch das Erscheinen und Einschreiten der Polizei mitbekommen. „Dies bleibt emotional nicht ohne Folgen und erschwert die polizeilichen Maßnahmen zusätzlich“, erläutert die Sprecherin.

Schwer vorherzusagen sei zudem, wie sich die Situation entwickele. „Die Polizei muss schnell handeln, um die Sicherheit aller Beteiligten zu gewährleisten“ – und das in einem unbekannten und räumlich begrenzten Umfeld.

Bei Einsätzen von häuslicher Gewalt stelle die Polizei oft ein starkes Machtgefälle fest. Mit Folgen: „Der Täter kann versuchen, die Kontrolle über das Opfer und die Situation zu behalten“, erläutert die Sprecherin.

Aus Furcht vor Vergeltung hätten Opfer häuslicher Gewalt zudem oft Angst, sich an die Polizei zu wenden oder gegen den Täter auszusagen. Schwierig sei noch etwas: „In einigen Fällen gibt es möglicherweise keine eindeutigen Beweise für die Gewalt, was die Strafverfolgung erschwert.“ Und selbst wenn die Polizei eingreift, kann es schwierig sein, zukünftige Vorfälle zu verhindern. Doch genau das soll eine Initiative verhindern: Der Einsatz von elektronischen Fußfesseln bei häuslicher Gewalt. Gewalttäter sollen künftig zum Tragen einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung verpflichtet werden. Das System warnt Opfer automatisch, wenn sich der Täter nähert. Thomas Ring, Polizeipräsident der Polizeidirektion Braunschweig, begrüßt die Initiative zur Gefahrenabwehr.

„Noch immer erleben viel zu viele Frauen in Deutschland Gewalt, besonders häufig durch die eigenen Partner oder Ex-Partner. Hass und Gewalt gegen Frauen nehmen seit Jahren immer weiter zu. Insofern ist jede Ausweitung der rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten für die Polizei ein wichtiger Beitrag zum Schutz der Opfer von häuslicher Gewalt“, sagte er auf PAZ-Anfrage.

Durch die Fußfessel könne die Polizei den Aufenthaltsort des Täters in Echtzeit überwachen und sofort eingreifen, wenn er sich dem Opfer nähert oder ein Kontakt- oder Näherungsverbot verletzt. Die Anordnung dieser Maßnahme unterliege dem Richtervorbehalt.

Auch die Leiterin des Peiner Frauenhauses begrüßt die Fußfessel-Initiative. „Alles was hilft, Frauen vor häuslicher Gewalt zu schützen, ist gut“, betont Stefanie Weigand. Doch sie befürchtet, dass eine deutsche Variante mit dem so gepriesenen spanischen Modell nicht vergleichbar sei. Das „spanische Modell“ sei nämlich auch so erfolgreich, weil es spezialisierte Gerichte für häusliche Gewalt gebe und verurteilte Gewalttäter zum Beispiel ihre Kinder für einen längeren Zeitraum nicht sehen dürfen. Sie fordert, dass häusliche Gewalt auch beim Umgangsrecht in Deutschland eine wichtigere Rolle spielen müsse als bisher.

Den Einsatz von Fußfesseln in Deutschland befürwortet auch Kathrin Sahin von der BISS-Beratungsstelle. Wenn erwirkt wurde, dass der Täter keinen Kontakt mehr aufnehmen und sich nicht in der Nähe des Opfers aufhalten darf, rät sie Frauen unter anderem auch dazu ihre Social-Media-Profile zu löschen. „,Machen Sie sich unsichtbar‘, sage ich. Aber das kann ja eigentlich nicht Sinn und Zweck sein.“

Doch auch sie befürchtet: „Bis so eine Fußfessel wirklich am Start ist, könnte es bei unseren Gesetzen lange dauern.“ Sie wünscht sich daher auch schnellere und empfindlichere Geldstrafen für Täter zur Abschreckung. „Opfer haben oft schon einen langen Leidensweg hinter sich, bevor sie zu uns kommen.“

■ Wer Hilfe wegen häuslicher Gewalt benötigt, der kann sich unter Telefon (0 51 71) 58 88 91 an die BISS-Beratungsstelle in Peine wenden. Auch Männer sind betroffen. Elf hatten im vergangenen Jahr Hilfe gesucht, berichtet Leiterin Kathrin Sahin.

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