Seit August 2025 ist er nicht mehr aktiv als Co-Chef im gemeinsamen Familienbetrieb in der Werner-Nordmeyer-Straße zu Hause, sondern angestellt und lernend im Bestattungshaus in der Feldstraße am Fuße der Nord-Süd-Brücke. „Seit meiner Jugend habe ich den Wunsch, etwas Außergewöhnliches zu machen, und dieser Gedanke hat mich bis heute nicht losgelassen“, sagt er mit jenem gedämpften Tonfall, der in den Fluren des Bestattungshauses üblich ist.
Schwarzes Hemd, graue Hose, gepflegte Erscheinung, die Hände vor dem Bauch ineinandergelegt. So empfängt er Besucher und auch die PAZ. Führt durch die Räume, erzählt kenntnisreich von unterschiedlichen Materialien, von verrottbaren Urnen – im Grunde dasselbe, aus dem auch essbare Pommes-Schälchen sind - und von Särgen unterschiedlicher Hölzer. Von Grabschmuck, der in Friedwäldern tabu, aber auf dem Friedhof erlaubt ist. Von Menschen, die in Trauer sind, und davon, wie er damit umgeht.
„Jeder Abschied berührt auf seine ganz eigene Weise. Doch der Verlust eines Kindes geht mir als Vater sicherlich besonders nahe und ist für mich wie auch für meine Kolleginnen und Kollegen wohl die größte menschliche Herausforderung“, sagt der Vater von vierjährigen Zwillingen.
Was reizt ihn am täglichen Umgang mit dem Tod? „Die enorme Vielfalt der Aufgaben, das Unvorhersehbare, die hohe Verantwortung für Menschen in dieser für sie emotionalen Sondersituation.“ Da ist Böse völlig klar und ruhig. Seine Entscheidung den Job zu wechseln, fiel nicht von heute auf morgen, sondern brauchte lange Zeit zu reifen. Und musste auch im Familienkreis besprochen werden. „Als ich meiner Frau von meinem Wechselwunsch erzählte, sagte sie lediglich: ‚Das war mir schon klar. Das wolltest du doch schon immer machen‘.“
Sein neuer Ausbildungsbetrieb in der Feldstraße ist alteingesessen. Lange schon ist Silke Ebermann-Gaus im Geschäft. Sie kommt aus einer Bestatter-Familie, bereits ihr Großvater hatte seinerzeit eine Tischlerei betrieben. „Früher war das oft so, dass Tischlereien die Bestattungen vorgenommen hatten“, erinnert sich Ebermann-Gaus. „Die Särge hatten sie ja ohnehin hergestellt.“
Erst mit der Zeit entwickelte sich daraus ein eigenständiges Berufsfeld, das heute Fachausbildungen kennt: die Ausbildung zur Bestattungsfachkraft, den fachgeprüften Bestatter und den Bestatter-Meister. Mittlerweile übernehmen auch die Töchter immer mehr Verantwortung im Betrieb.
Tochter Celina ist bereits Bestatter-Meisterin. Die erste Tochter, Melissa, ist nach ihrem Marketingstudium aktuell in der Weiterbildung zur Meisterin. Das möchte auch Chris Hendrik Böse werden. „Was Reelles, mit Brief und Siegel, auch wenn es zur Ausübung des Berufs nicht zwingend vorgeschrieben ist.“
Tatsächlich gibt es für Bestattungsunternehmen noch keine Meisterpflicht. Wagen, Ladengeschäft und die Einhaltung des Niedersächsischen Gesetzes über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen: Das reicht im Grunde, um im Bestattungsgewerbe loszulegen. Ob so etwas wirtschaftlich erfolgreich und dem Anspruch auf Würde entsprechen würde? „Für mich keinesfalls“, sagt Böse. Doch bis er seinen Meister in Angriff nehmen kann, muss er mindestens drei Jahre Berufserfahrung nachweisen.
Die Weiterbildung zum Bestatter-Meister im Ausbildungszentrum der Bestatter im bayrischen Münnerstadt vertieft alles, was den Beruf professionell macht: Rechtskunde von Bestattungs- bis Gewerberecht, betriebswirtschaftliche Führung, Personalmanagement und Qualitätssicherung. Und im Speziellen die praktischen Schwerpunkte wie Hygiene, Thanatopraxie-Grundlagen, Überführungen, Trauerbegleitung und Organisation komplexer Abläufe.
Thanatopraxie? Das ist das Wissen um das Reinigen der Verstorbenen, Schließen von Mund und Augen, die Versorgung von Verletzungen und die Kosmetik am Toten. Man muss das wollen. Der Meisterbrief, den Chris Hendrik Böse mittelfristig absehbar erreichen will, ist noch nicht allzu gängig in deutschen Bestatterbetrieben. Der Bundesverband Deutscher Bestatter (BDB) nennt für 2023 bundesweit insgesamt 660 Bestatter-Meister bei insgesamt 8.420 Bestattungsunternehmen.
Die wichtigste Erkenntnis seiner ersten Monate: „Nach Schema F kann man es nicht machen, der Beruf hat sehr viel mit Einfühlungsvermögen zu tun. Jeder muss so genommen werden, wie er ist, gerade in einer so intensiven Lebenssituation wie dem Tod eines nahen Angehörigen“, so Böse. „Denn jeder trauert anders.“
Und so seien auch die Vorstellungen von einer angemessenen Beerdigung immer unterschiedlich. Zumindest im Rahmen der vorgegebenen Friedhofs- und Friedwald-Satzungen. Da gebe es die klassische Sargbeisetzung mit Pastor und Kaffeetafel nach der Trauerfeier. Ein Pastor ist übrigens im Landkreis immer noch bei rund 65 Prozent aller Beisetzungen dabei.
Auf der anderen Seite gebe es aber auch immer wieder Sonderwünsche, die vom Bestattungshaus nach Möglichkeit erfüllt werden. „Ich hatte schon mal eine Trauerfeier, die von 60 Motorrädern begleitet wurde. Da haben wir im Friedwald Hells Bells von AC/DC gespielt“, erinnert sich Ebermann-Gaus. „Empathie ist Softskill Nummer eins bei uns.“
Die Arbeit mit dem Tod kann mitunter auch emotional belastend sein. Mancher Sterbefall gehe auch tiefer, sagt Böse. „Es kommt immer darauf an: Kannte man den Verstorbenen? Wie waren die Umstände? Jung oder gesegnetes Alter? Respekt ist das A und O.“ Körperliche Kraft, wie man sie im Fitness-Studio trainiert, sei im Übrigen immer noch hilfreich im Bestatter-Job. Auch wenn es mittlerweile technische Hilfsmittel gibt - ein Sarg wird immer noch getragen.