„So etwas habe ich noch nie erlebt“, sagt hallo-Fotograf Rudi Karliczek, der schon Dutzende Wahlkampfauftritte mitgemacht hat. Der Andrang erinnerte ihn an den Besuch eines Popstars. Durch drei Räume zog sich die Schlange der Menschen, die geduldig auf ein gemeinsames Bild warteten. Cliquen und Gruppen hatten sich verabredet, um Heidi Reichinnek zu treffen. Die Linke kennt den Hype schon, hatte sogar eine Stunde als „Meet & Greet“ eingeplant, ehe die Kandidatin zum lokalen Bundestagsbewerber Cem Ince für zwei Stunden in den überfüllten Saal ging. Jeder Stuhl war besetzt, fast alle Besucherinnen und Besucher zückten ihr Smartphone, um diesen Moment festzuhalten.
„Wir freuen uns, dass sich Menschen wieder für Die Linke interessieren“, sagt Cem Ince. Nicht nur er ist froh, dass seine Partei dank Heidi Reichinnek wieder sehr gute Chancen hat, die Fünf-Prozent-Hürde im Bundestag zu überwinden. Und einen großen Beitrag dürfte unfreiwillig der CDU-Kanzlerkandidat Friedirch Merz geleistet haben, der mit seinem von der rechtsgerichteten AFD unterstützen Antrag auf verschärfte Migrationskontrollen dafür sorgte, dass Heidi Reichinnek eine Rede hielt, die auf den verschiedenen Plattformen im Internet mehr als 25 Millionen Mal angeklickt wurde. Die Zahl ihrer Follower bei Instagram stieg von bereits starken 133.000 auf über 400.000, bei Tiktok folgen ihr mittlerweile 540.000 User.
Für Cem Ince ist das aber kein Grund, der CDU zu danken. Für solch einen Antrag könne man nicht dankbar sein, so der Politiker. „Wir sollten Heidi danken für ihre Haltung“, ergänzt er mit dem Hinweis darauf, dass diese ihre Rede nicht vorbereitet hatte, sondern aus dem Bauch heraus argumentierte. Heidi Reichinnek habe es geschafft, findet Cem Ince, „vielen Leuten aus der Seele zu sprechen, die Wut aufzugreifen, gleichzeitig aber auch authentisch zu bleiben“. Wie sehr die 36-jährige Abgeordnete, die seit 2021 im Bundestag sitzt und seit einem Jahr Vorsitzende der parlamentarischen Gruppe der Linken ist, vor allem junge Wähler erreicht und wachgerüttelt hat, zeigte sich nun im Gewerschaftshaus.