Warum die Storchenmutter gestorben ist, ist nicht bekannt. Allerdings hat man im Artenschutzzentrum Erfahrung mit der Hege und Pflege von Jungstörchen. Fünf bis zehn kämen im Schnitt jährlich nach Leiferde, sagt Nabu-Mitarbeiter Joachim Neumann. Oftmals, weil die Vögel „abgeworfen“ werden. Soll heißen: Das schwächste Tier des Nachwuchses wird aus dem Nest geschmissen, entweder von seinen Eltern oder seinen Geschwistern. „So ist eben die Natur“, sagt Neumann.
Das hätte in diesem Fall in Kästorf auch passieren können. Denn für einen einzelnen Storch sei es ohnehin schwierig, drei Junge zu versorgen. Glück im Unglück: Der Storchenvater sei dem Nabu bestens bekannt, erzählt Neumann. „Es ist ein sehr erfahrenes Männchen und besonders taff.“ Während die meisten Storcheneltern sich zurückziehen, wenn der Storchenbeauftragte die Jungtiere im Nest beringt, setze dieser gefiederte Erziehungsberechtigte seinen Schnabel zur Verteidigung des Nachwuchses ein. Da müsse man jedes Mal auf der Hut sein, erzählt Neumann lachend.
Drei Kinder auf einmal seien aber selbst für einen starken Kerl wie den Kästorfer Weißstorch zuviel. Darum kam der „kleine Wackelkandidat“ ins Artenschutzzentrum. Die übrigen zwei Jungtiere könne der Vater versorgen: „Das trauen wir ihm zu“, sagt Neumann. Weil der Nachwuchs schon einige Wochen alt sei, könne man ihn auch vorübergehend allein lassen. Der Storchenbeauftragte habe die Lage im Blick und beobachte, ob in dem Nest wirklich alles wie erhofft funktioniert. „Denn eine endgültige Sicherheit hat man nie.“
In Leiferde teile der etwa fünf Wochen alte Jungstorch aus Kästorf nun mit einem Artgenossen gleichen Alters das Quartier. Dieser kam aus dem Landkreis Harburg nach Leiferde. „Das war ein glücklicher Zufall“, sagt Neumann. Beide würden den jeweils anderen als Geschwisterchen akzeptieren. Der kleine Neuzugang aus dem Gifhorner Ortsteil sei schon beringt und nehme ausreichend Nahrung zu sich. „Wir sind sicher, dass er gut aufwachsen wird“, sagt der Nabu-Mitarbeiter.
Wahrscheinlich wird der Storch gar nicht mehr lange im Artenschutzzentrum bleiben. Denn die Vögel würden „sich selbst auswildern“, schildert Neumann. Sie kämen in ein Freigehege, in dem sie ab einem Alter von etwa zehn Wochen selbstständig erste Flugübungen machen würden. Einen Lehrer brauche es dafür nicht. Wenn sich die jungen Störche dann richtig in die Lüfte erheben, würden sie nach und nach immer größere Runden drehen und die Gegend erkunden. Irgendwann stehe dann der endgültige Abschied an. „Viele kommen aber auch gerne zurück, um noch einmal aufzutanken“, erklärt Neumann.
Spätestens im kommenden August werde der Kästorfer Storch wohl aber endgültig ausziehen. Denn bereits in dem Sommermonat sammeln sich junge Störche, um schließlich gemeinsam in Richtung Süden zur Überwinterung zu ziehen. Viele fliegen nach Spanien, einige aber auch nach Afrika, sagt Neumann. Auch dafür sei kein Lehrer nötig, die Störche wüssten von allein, wohin es gehen muss. Ältere und erfahrenere Weißstörche würden sich erst ab September abflugbereit machen – oder zum Teil in ihrer deutschen Heimat überwintern. Schon im Februar kehren die Zugvögel oftmals zurück. Bei diesem Rhythmus hätten sie sich den immer milderen Wintern angepasst, sagt Neumann. In diesem Jahr bezog ein Storch sogar schon Ende Januar das Nest auf der Kirche in Wahrenholz.