Der neueste Vorschlag aus dem Bundesgesundheitsministerium in Berlin wird auch in Gifhorn heiß diskutiert: Rund um die Uhr jeden Tag die Woche im Kreis Gifhorn einen ärztlichen Bereitschaftsdienst vorhalten, auch parallel zu den Sprechstunden? Das ist aus Sicht von Dr. Klaus-Achim Ehlers, Hausarzt in Gifhorn und Kreissprecher der Kassenärztlichen Vereinigung, illusorisch. Dazu fehlen ihm zufolge einfach die Kollegen. Und nicht nur das.
Die Zahlen seines Spitzenverbandes KVN geben ihm offenbar recht. In dessen internen Mittelbereich, ein Gebiet in und um die Kreisstadt Gifhorn mit rund 107.000 Einwohnern, gibt es demnach rein rechnerisch 59,25 Stellen für niedergelassene Hausärzte. Soll ein Hausarzt 1.615 Patienten versorgen, könnte dieser Bereich noch 14,5 weitere Stellen vertragen. Die Versorgung liegt bei 89 Prozent. Im Bereich Wittingen mit 20.435 Einwohnern sind es 13,25 Hausarzt-Stellen, zwei könnten bei dem Versorgungsgrad von 98,8 Prozent noch dazukommen. Im Bereich Braunschweig Umland mit 53.864 Einwohnern, zu dem Teile der Landkreise Gifhorn und Peine zählen, gibt es 30,25 Stellen. Der Versorgungsgrad beträgt 90,7 Prozent, 6,5 weitere Stellen wären noch möglich.
Offiziell als unterversorgt gilt der Landkreis Gifhorn mit seinen Werten allerdings noch nicht. Dazu müsste der Versorgungsgrad unter 75 Prozent rutschen. In dem Fall wäre die KVN gezwungen, in jenem Gebiet einen Hausarzt oder eine Hausärztin zu etablieren, weil sie den Sicherstellungsauftrag hat.
Doch was ist, wenn die demnächst in den Ruhestand ausscheidenden Hausärzte keine Nachfolger finden? „Wir müssen jetzt schon Überzeugungsarbeit leisten“, sagt Ehlers zu den Bemühungen, junge Nachwuchsmediziner für eine Niederlassung auf dem Land zu gewinnen. Die wollten sich am liebsten anstellen lassen. Jeder Punkt, der eine Niederlassung unattraktiver mache – und dazu zählt Ehlers die neuen Notdienst-Pläne von Karl Lauterbach – funke der KVN mächtig dazwischen.
Davor warnt auch KVN-Sprecher Detlef Haffke. Gerade junge Ärztinnen und Ärzte seien nicht mehr bereit, 50 bis 60 Stunden die Woche zu arbeiten. Schon gar nicht in der Provinz: Die Jungmediziner ziehe es nicht gerade in ländliche Regionen. Und es gebe sowieso viel zu wenig von ihnen: „Grundsätzlich werden zu wenig Mediziner an den Hochschulen ausgebildet“, beklagt Haffke. „Es müssten jährlich 500 Medizinstudienplätze zusätzlich in Niedersachsen eingerichtet werden.“
„Bei der Besetzung von Arztsitzen heißt das Zauberwort Work-Life-Balance“, sagt Haffke. Dabei gehe es um viele Faktoren, zum Beispiel ob der Partner oder die Partnerin einen Arbeitsplatz vor Ort findet. Oder ob es Kita- und Schulplätze gibt. Freizeitaktivitäten spielen auch eine Rolle, Kandidaten achten ihm zufolge auch darauf, ob es Angebote rund um Kino, Theater und Sport gibt. Und ja, auch Haffke verweist darauf, dass die jungen Kollegen aufmerksam studieren, wie oft sie mit Bereitschaft am Abend oder Wochenende dran wären.
„Die KVN drängt schon seit langem darauf, die seit Jahrzehnten immer weiter zusammengekürzten Kapazitäten der medizinischen Fakultäten zur Sicherstellung des medizinischen Nachwuchses aufzustocken“, sagt Haffke. Dabei sei zu viel Zeit verschwendet und eine Gelegenheit vertan worden, dem drohenden und teils bereits realen Ärztemangel zu begegnen und die ambulante Versorgung mittel- und vor allem langfristig zu stärken.
Eine baldige Abhilfe scheint nicht in Sicht: Sollten jetzt mehr Studienplätze und eine Landarztquote umgesetzt werden, würde dies bis 2035 keine nennenswerten positiven Effekte auf die Versorgung haben, sagt Haffke. Erst danach wäre langsam mit spürbaren Effekten zu rechnen.
Außerdem fordert die KVN den Ausbau des Bedarfsverkehrs in ländlichen Regionen und den Ausbau der Internetstrukturen: „Der Weg zur Arztpraxis für die Bürgerinnen und Bürger muss einfacher werden, und neue Formen der digitalen Kommunikation mit der Arztpraxis müssen störungsfrei und stabil aufgebaut werden“, zählt Haffke auf. Dazu wären gute Breitband-Internetverbindungen notwendig. Die Kassenärztliche Vereinigung sieht deshalb auch die Zusammenarbeit mit Kommunen und Landkreisen als wichtig an, um vor Ort Rahmenbedingungen für Niederlassungen zu verbessern.