Psychotherapie: Kassen machen Druck
Verband fordert von Therapeuten bessere Steuerung der psychisch kranken Patienten

Wer sich in einer psychischen Notlage befindet und eine Behandlung benötigt, braucht Geduld.Symbolfoto: Nik Shuliahin / Unsplash

Wer sich in einer psychischen Notlage befindet und eine Behandlung benötigt, braucht ausgerechnet Geduld: Obwohl die Zahl der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen ist, müssen Betroffene weiterhin zum Teil Monate auf eine Therapie warten. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen sieht eine Lösung jedoch nicht in einer weiteren Erhöhung der Zulassungszahlen, was die Kosten und damit die Beiträge weiter nach oben treiben würde. Vielmehr fordert der Verband eine bessere Steuerung der Patientinnen und Patienten. Das geht aus einem Positionspapier hervor, das der Verwaltungsrat des Verbandes beschlossen hat. Es liegt dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vor.

„Wir haben keinen Mangel an Psychotherapieplätzen. Aber gerade schwer psychisch Kranke haben Probleme, einen Therapieplatz zu finden“, sagte die Vize-Chefin des Spitzenverbandes, Stefanie Stoff-Ahnis dem RND. „Heute ist es vielfach so, dass psychisch Erkrankte eine Praxis nach der anderen anrufen, auf den Anrufbeantworter sprechen und dann zu Hause auf den Rückruf hoffen, der selten kommt“, berichtete sie. „Diesen unverantwortlichen Zustand wollen wir nicht länger hinnehmen, und fordern deshalb einen besser organisierten Zugang zur psychotherapeutischen Versorgung“, mahnte sie.

Konkret wollen die Kassen die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten gesetzlich dazu verpflichten, freie Behandlungskapazitäten an die Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen zu melden. Der Verband spricht von einer „angemessenen“ Anzahl an Sprechstunden und der Hälfte der Behandlungsplätze. „Gerade schwer psychisch Erkrankten ist es nicht zuzumuten, alleine einen Therapieplatz ohne direkte Hilfe und unterstützende Orientierung zu suchen“, argumentierte Stoff-Ahnis.

Die Terminservicestellen sind per Gesetz verpflichtet, innerhalb von vier Wochen Termine für die psychotherapeutische Sprechstunde zu vermitteln. Das wird laut Spitzenverband aber nicht erreicht: 2023 wurde danach mehr als die Hälfte der Anfragen (54 Prozent) gar nicht oder nicht in der vorgeschriebenen Frist vermittelt.

Auch die Vermittlung einer weiterführenden Behandlung klappt den Angaben zufolge nur unzureichend. So seien 2023 nur ungefähr 365.000 Termine angeboten worden, das seien auf die aktuell rund 40.000 Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten bezogen lediglich neun Termine pro Jahr, beklagt der Verband in seinem Positionspapier.

Darüber hinaus wollen die Krankenkassen durchsetzen, dass mehr Gruppentherapien angeboten werden, damit eine höhere Zahl von Patientinnen und Patienten gleichzeitig behandelt werden kann. Das sei „dringend erforderlich“, so der Verband. „Die gleichwertige Wirksamkeit der Gruppentherapie einerseits und der Einzeltherapie andererseits ist erwiesen“, heißt es in dem Positionspapier. Zudem verfüge die Gruppentherapie in einer Zeit, die von Individualisierung geprägt sei, über große Vorteile. Die Ausweitung von Gruppentherapien wollen die Kassen erreichen, indem Zulassungen bevorzugt an diejenigen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten vergeben werden, die diese Behandlungsform auch anbieten.

Schließlich wollen die Kassen gesetzlich erzwingen, die Dauer der Behandlungen zu verringern, indem die Abstände zwischen den Therapiesitzungen verkleinert werden. Diese hätten sich in den vergangenen Jahren deutlich verlängert, was im Widerspruch zu wissenschaftlichen Studien über die Wirksamkeit von Therapien stehe, so der Spitzenverband. „Eine höhere Sitzungsfrequenz, zum Beispiel in Form von wöchentlichen Sitzungen, geht mit einer schnelleren Verbesserung der Symptomatik und einer höheren Symptomreduktion einher“, argumentiert der Verband.

Weiterhin will der Spitzenverband erreichen, dass wieder mehr Langzeittherapien für schwer psychisch Kranke angeboten werden. Der Hintergrund: 2020 wurden Honorarzuschläge für die ersten zehn Stunden einer Kurzzeittherapie eingeführt. Das hat nach Angaben des Kassenverbandes bereits ein Jahr nach dem Inkrafttreten dazu geführt, dass Langzeittherapien deutlich zurückgegangen sind, während die Zahl der Kurzzeittherapien stark gestiegen ist. Diese „einseitige Förderung der Behandlung mit kurzem Behandlungsbedarf“ müsse beendet werden, fordern die Kassen.

Für die ambulante Psychotherapie geben die gesetzlichen Krankenkassen jährlich fast fünf Milliarden Euro aus. Das sind 10 Prozent aller Ausgaben für die ambulante Versorgung.

Um die Wartezeiten abzubauen, wurden in den vergangenen Jahren mehr Kassen-Zulassungen für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten genehmigt. Dadurch stieg die Zahl der für die Kassenpatienten zur Verfügung stehenden Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten seit 2014 um über 10.000 auf nunmehr knapp 40.800.

Das hat aber die Wartezeiten kaum verkürzt, weil gleichzeitig die Nachfrage in den vergangenen Jahren überproportional stark gestiegen ist. So nehmen laut Kassen-Spitzenverband aktuell ungefähr 60 Prozent mehr Versicherte eine psychotherapeutische Behandlung in Anspruch als noch vor zehn Jahren.

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