Das Gericht folgte schließlich am zweiten Verhandlungstag dem „freundlichen Antrag der Staatsanwaltschaft“, wie der Richter sagte, und entschied auf drei Jahre und vier Monate Haft. Der Angeklagte reagierte darauf zunächst aufmüpfig. „Ich werde Berufung, Revision einlegen“, kündigte der 22-Jährige an, während der Richter das Urteil begründete. Der Vorsitzende ermahnte den jungen Mann jedoch und betonte: „Das Urteil ist zu Ihren Gunsten ausgefallen. Sie sollten nicht weiter aufbrausend sein. Und mit der Strafe haben Sie eine Perspektive.“ Der Angeklagte beruhigte sich dann und hörte weiter zu.
Das Gericht berücksichtigte die Drogenprobleme des Angeklagten. Der Richter betonte aber auch, dass er viele Vorstrafen hat und Gewalttaten verübte. Außerdem sei er während der Taten auf Bewährung gewesen. Momentan sitzt der 22-Jährige wegen anderer Vergehen in der Jugendvollzugsanstalt (JVA) in Hameln. Der Angeklagte hat keinen Schulabschluss und wurde von der Volkshochschule verwiesen, an der er seinen Hauptschulabschluss machen wollte. Auch seinen Job bei einer Wolfsburger Tankstelle verlor der Mann. Der Angeklagte ist homosexuell und prostituierte sich, um Geld für seine Sucht zu bekommen. Er hielt sich nachts häufig draußen auf, daher hatte er meistens ein Messer dabei.
In der Nacht des 20. Mai 2023 sprach der Angeklagte in der Nähe des Hauptbahnhofs Wolfsburg einen Studenten an. Er gab vor, sich dessen Handy leihen zu wollen, offenbar wollte er es aber behalten. Der damals 18-jährige Student griff nach seinem Smartphone und dann stach der Angeklagte mit einem spitzen Gegenstand auf den jungen Mann ein. Die Tatwaffe konnte nicht festgestellt werden. Der Richter vermutet, dass es ein sehr scharfes Messer mit einer kurzen Klinge gewesen sei. „Das T-Shirt des Opfers war durchlöchert, es wurde richtig durchstoßen“, so der Vorsitzende des Gerichts.
Der Geschädigte sagte als Zeuge aus und wirkte gefasst. Er berichtete, dass er einen Monat mit den Verletzungen zu tun hatte. „Dass der Mann den Angriff so gut verkraftet hat, ist für Sie Glück. Wir erleben im Gericht auch Personen, die ihr Leben lang an den psychischen Folgen eines solchen Angriffs leiden“, so der Richter. Ein Video, das die Tat zeigt, wurde im Gericht gezeigt. Mithilfe der Bewegtbilder kam das Gericht zu dem Schluss, dass der Täter nicht freiwillig den Rückzug angetreten hätte. Am Tatabend beobachteten Taxifahrer die Szene, und der Student rief etwas in deren Richtung. Erst dann ließ der Angreifer vom Opfer ab und floh.
Bei der zweiten Tat handelte es sich um einen Diebstahl mit Waffen. Folgendes ist am 4. August 2023 passiert: Der Angeklagte wollte in einem Wolfsburger Einkaufsladen Lebensmittel und Zigaretten im Wert von rund 57 Euro stehlen. Als der Ladendetektiv das bemerkte, wurde der Mann aus Salzgitter aggressiv und versuchte, den Mitarbeiter und einen weiteren Angestellten mit einem Kugelschreiber zu verletzen. Der Richter erklärte, dass der Angeklagte bewusst auf den Kopf der Menschen gezielt und Verletzungen in Kauf genommen habe. Dem Angestellten ist nichts passiert, der Ladendetektiv hatte Schürfverletzungen am Kopf. Zu dem Tatvorwurf „mit Waffen“ kommt es, weil der Angeklagte ein Messer mit einer 20 Zentimeter langen Klinge im Rucksack hatte. Der 22-Jährige wollte sich erneut verteidigen, und sagte: „Das Messer war in Alufolie gepackt.“ Der Richter erklärte daraufhin den Tatvorwurf: „Dem Gesetzgeber reicht es, dass Sie den Gegenstand dabei hatten. Sie hätten das Messer schnell zur Hand gehabt.“
Das Geständnis des Angeklagten ändere nichts an der rechtlichen Bewertung, meinte der Richter. Eindringlich sagte er: „Das Urteil dient dazu, dass Sie kein Messer mehr mitnehmen und niemanden angreifen. Hängen Sie sich ein Zettel über das Bett, auf dem genau das steht.“ Mit seinem Verteidiger entschied sich der Angeklagte zur Annahme des Urteils. „Ich nehme mit die Message zu Herzen“, betonte der Verurteilte, bevor er aus dem Saal geführt wurde.
Das Urteil sei in Ordnung, sagte der Verteidiger zur WAZ. Er werde einen Antrag zur Änderung der Vollstreckungsreihenfolge stellen und parallel einen Antrag zur Drogentherapie: „Mit der Strafe hat der junge Mann eine Perspektive.“