In seiner Autobiografie „Meine Jahre mit Volkswagen“ schreibt Hahn auf Seite 73: „Man mag sich heute kaum vorstellen, was in der damals kritischen Phase des Umbruchs ohne die Unterstützung durch Audi in Ingolstadt aus Volkswagen geworden wäre.“ Mit kritischer Phase meint er den Wechsel vom Käfer zum Golf, von der Vergangenheit in die Moderne. 1974 – im Jahr der Krise – kam der Golf (mit Hilfe von Audi-Technik) auf den Markt und schlug ein wie die sprichwörtliche Bombe. Niemand, so Hahn, habe vor 50 Jahren geahnt, wie erfolgreich Volkswagen aus dieser Krise fahren würde.
Interessanterweise spielte Daniela Cavallo während der Betriebsversammlung auf dasselbe Krisenjahr 1974 an – laut Aussage von Teilnehmern hat sie aus dem Geschäftsbericht von 1974 des Volkswagen-Konzerns zitiert. Man habe damals, so Cavallo, den „Personalbestand vermindert“. Und zwar durch eine Einstellsperre, durch das Nichtersetzen ausgeschiedener Beschäftigter, durch vorgezogene Pensionierungen sowie durch zwei „Aufhebungsvertragsaktionen“. Dann soll sie für große Heiterkeit in Halle 11 gesorgt haben mit ihrer Bemerkung: Also sei heute „eigentlich alles wie damals“.
Eine grundsätzliche Einstellsperre von 1974 heiße 2024 Einstellungsstopp. Das Nichtersetzen ausgeschiedener Mitarbeiter nenne man heute „Effizienzen heben“. Die vorgezogenen Pensionierungsmaßnahmen würden bei Volkswagen heute „Altersteilzeit“ genannt und Aufhebungsvertragsaktionen seien nichts anderes als „Aufhebungsverträge mit Turboprämie“.
Spannend wurde es laut Teilnehmern, als die Betriebsratsvorsitzende etwas zur Haustarifrunde 1974 sagte: Damals, so Cavallo, habe es ein Schlichtungsverfahren gegeben. Die Tarifverhandlungen müssten demnach ziemlich heftig und konfliktreich gewesen sein. Aber das Ergebnis habe sich sehen lassen können: Ab Februar 1974 gab es elf Prozent mehr Gehalt. Ab Dezember 1974 habe es weitere zwei Prozent dazugegeben. Macht 13 Prozent Lohnplus alleine 1974. Hinzu kommt: Auch die Ausbildungsvergütung – die Bezahlung von Auszubildenden – sei damals erhöht worden. Zudem habe es zwei zusätzliche Urlaubstage und weitere finanzielle Verbesserungen gegeben – in einer tiefen Krise von Volkswagen.
Was jedem sofort klar war: Cavallo verglich die Situation von 1974 – dem Geburtsjahr des bis heute meist gebauten Volkswagen – mit der Umbruch- und Krisensituation von heute. Heute steckt Volkswagen mitten im Wandel von Autos mit Verbrennungsmotor hin zu Fahrzeugen mit Elektroantrieb, die zusätzlich digital vernetzt sind und in absehbarer Zeit autonom über die Straßen fahren sollen. In China entwickelt Volkswagen zudem aktuell eine autonom fliegende Passagierdrohne.
Natürlich könne man beide Krisen nicht vollständig miteinander vergleichen, betonte Cavallo. Und natürlich werde man 2024 keine zweistellige Entgelterhöhung verhandeln können. Aber ihr sei eine Botschaft wichtig: Volkswagen habe auch 1974 in einer tiefen Krise gesteckt und rote Zahlen geschrieben – aber das Ergebnis des Schlichtungsverfahrens habe sich nicht negativ auf die VW-Entwicklung ausgewirkt. Das sei doch eine schöne Perspektive für die Tarifverhandlungen 2024.