Ergebnis: Zumindest der Rechtsstreit bezüglich des Leinen- und Maulkorbzwangs wurde beigelegt. Den Grund dafür erläuterte der Richter: „Ich hatte kritisiert, dass zwei Bescheide zum selben Vorfall erlassen wurden.“ Denn zunächst hatte die Stadt Wolfsburg einen Leinen- und Maulkorbzwang angeordnet. „Durch die anschließende Gefährlichkeitsfeststellung wurde dieser erste Bescheid gegenstandslos“, sagte der Richter. Denn: Mit der Gefährlichkeitsfeststellung ist ein Maulkorb- und Leinenzwang verbunden. Zwei Zeuginnen, Opfer und Hundeführerin, sagten im Zuge der Beweisaufnahme aus.
Zunächst beschrieb die Klägerin, sie war in Vertretung ihres Mannes, dem Halter des Hundes, vor Gericht erschienen. Am Morgen eines Advents-Sonntages des Jahres 2022 war die 81-jährige Frau mit dem Familienhund, einem Jack-Russell-Terrier, in Sülfeld auf dem Forstweg in Richtung Mittellandkanal unterwegs. „Es war keine Menschenseele zu sehen“, schilderte die Hundeführerin. Ihr Handy machte sich bemerkbar, und „ich wollte schauen, ob ich eine Nachricht bekommen habe.“ Den Hund habe sie an einer zwei Meter langen Leine geführt. Sie sei stehen geblieben, um auf ihr Smartphone zu schauen. Dann sei alles ganz schnell gegangen: „Eine Joggerin rauschte von hinten an mir vorbei“. Unbemerkt von der Hundeführerin. Die Läuferin habe gesagt: „Ach, wo ich doch solche Angst vor Hunde habe.“ In diesem Moment habe der Hund der Joggerin ins Knie gebissen. „Ich habe sofort ‚Aus!‘ gerufen und der Hund hat losgelassen“, berichtete die Frau. Der Hund sei dann am anderen Bein der Joggerin heruntergerutscht, und habe dabei die Laufhose beschädigt.
Die Hundeführerin beteuerte, dass ihr der Vorfall leid getan habe und sie die Telefonnummer mit der Geschädigten, auch wegen der Haftpflichtversicherung, ausgetauscht habe. Sie habe angeboten, die Joggerin ins Klinikum zu bringen. „Der Hund wollte mich nur beschützen“, beteuerte sie. Die Joggerin hätte auf sich aufmerksam machen müssen, meinte die Hundehalterin, dann wäre nichts passiert.
„Das war eine Kumulation von unglücklichen Umständen“, sagte der Rechtsanwalt der Klägerin. Seine Verteidigungsstrategie zielte offenbar darauf ab, herauszustellen, dass die Joggerin zu schnell auf Hund und Halter zugelaufen sei. Die Halterin hätte nicht auf dem Weg, sondern daneben gestanden. Die beengte Situation hätte dann zur reflexartigen Handlung des Hundes beigetragen. „Das Tier war überfordert“, führte er aus. Vielmehr sei es eine „opferträchtige Situation“ für die Joggerin gewesen, diese hätte viel langsamer an Hund und Halterin vorbeigehen sollen.
Sprich: War es artgerechtes Abwehrverhalten? Konnte der Hund gar nicht anders, als sich durch einen Biss zu wehren? Der Rechtsanwalt hatte ein Foto des Hundes dabei. Er sei zwar kein Experte, aber es sei ersichtlich, dass man es mit einem harmlosen kleinen Tier zu tun habe. Der Richter ließ sich auf dieses Argument nicht ein und entgegnete: „Auch ein kleiner Hund kann beißen!“ Wenn ein Hund zubeiße, müsse geklärt werden, ob er gefährlich sei.
Die Zeugenaussage der Joggerin unterschied sich von der vorherigen. Knackpunkt: Sie habe auf sich aufmerksam gemacht und sei nicht bemerkt worden. Offenbar sei die Hundehalterin abgelenkt gewesen. Das Opfer berichtete, dass sie die Frau mit dem Hund schon von weitem gesehen habe. Die Hundeführerin habe mit dem Handy in der Hand auf dem Weg gestanden. Die Leine sei locker um den Arm gewickelt gewesen. „Da ich sowieso Respekt vor Hunden habe, habe ich mich angekündigt und gesagt: ‚Achtung nicht erschrecken!‘“, berichtete sie. Sie habe ihre Laufgeschwindigkeit reduziert.
Da die Hundehalterin eher mittig auf dem Weg stand, habe sie sich vorbeischlängeln müssen. „Die Halterin hat mich nicht bemerkt, der Hund schon. Er biss mich in die linke Wade und am Knie hatte ich einen Cut.“ Im Nachgang sei mit der Halterin in Kontakt gewesen, als sie erfuhr, dass der Hund schon öfter auffällig gewesen sei, teilte sie im Januar 2023 den Vorfall der Stadt Wolfsburg mit. Das führte zu den erwähnten Auflagen, gegen die die Halterin klagte.
Die Vertreterin der Stadt Wolfsburg sagte, es sei aus ihrer Sicht kein artgerechtes Abwehrverhalten des Hundes gewesen. „Für einen wohlerzogenen Hund dürfte das Vorbeigehen eines Spaziergängers oder Joggers kein Grund sein, jemanden anzufallen und zu beißen.“ Der Richter teilte am Ende des Verhandlungstages mit, dass er über die Klage gegen die Gefährlichkeitsfeststellung noch nicht entscheiden wolle. Er berichtete, dass er sich vor allem das Protokoll noch einmal in Ruhe ansehen und dann eine Entscheidung treffen wolle. Das Urteil wird den Verfahrensbeteiligten innerhalb von zwei Wochen zugeschickt, das gestattet die Prozessordnung.