Zweisamkeit bis zuletzt
Bennett Kahrens fährt täglich ins Hospizhaus Heiligendorf, um seiner schwerkranken Freundin
in ihrer letzten Lebensphase beizustehen

30 Jahre Hospizarbeit Region Wolfsburg: Bennett Kahrens (links) besucht täglich seine Freundin im Hospizhaus in Heiligendorf. Lucas Weiß (rechts) und Klaus Mohrs vom Verein Hospizarbeit Region Wolfsburg unterhalten sich mit dem Angehörigen.Foto: Ann Kathrin Wucherpfennig
Wolfsburg. Bennett Kahrens fährt täglich von Reislingen nach Heiligendorf. Nicht für die Arbeit, sondern um wertvolle Stunden und Minuten mit seiner Freundin zu verbringen. Die 41-Jährige hat Brustkrebs und ist seit Dezember 2024 im neuen Hospizhaus. Bei einem Gespräch mit Lucas Weiß und Klaus Mohrs vom Verein „Hospizarbeit Region Wolfsburg“ berichtet der 34-Jährige von seinen Belastungen und einem Wunsch.

Seine Freundin, die namentlich nicht genannt werden möchte, wurde auf der Palliativstation im Klinikum Wolfsburg behandelt. Nach zwölf Tagen wurde sie entlassen. Sie hatte weiterhin starke Schmerzen und daraufhin habe die behandelnde Onkologin das Hospiz vorgeschlagen. „Meine Freundin war sehr skeptisch und hatte große Angst. Sie will noch nicht sterben, hat sie immer wieder gesagt“ …

Lucas Weiß und Klaus Mohrs erleben, wie sich die Patienten gegen den Aufenthalt im Hospiz sträuben. „Oft gibt es Vorwürfe, doch die Patienten meinen das Gesagte oft nicht so. Sie sind verzweifelt“, sagt Lucas Weiß, der Geschäftsführer vom Verein „Hospizarbeit Region Wolfsburg“.

Klaus Mohrs, der seit Herbst 2024 Vorsitzender des Vereins ist, ergänzt: „Das Hospiz ist für die meisten der letzte Ort, denn selten kommen sie noch mal nach Hause.“ Der ehemalige Oberbürgermeister der Stadt Wolfsburg berichtet von einem Mann, der seine Familie verflucht habe, weil die Angehörigen ihn nicht mehr pflegen konnten. „Nach einigen Tagen hat der Mann gemerkt, wie gut es ihm im Haus geht“, erzählt Mohrs.

Der 41-jährigen Lebensgefährtin von Kahrens ging es nach zwei Wochen im Hospiz schon besser. „Zuhause haben die Menschen häufig Schmerzen und Luftnot. Dadurch können sie kaum schlafen. Im Hospiz werden diese Symptome durch die Medikamente gelindert, sodass die Gäste zur Ruhe kommen können“, erklärt Weiß.

Auf den Aufenthalt im Hospiz hat sich das Pärchen vorbereitet wie aufs Krankenhaus: „Wir haben eine Tasche gepackt und die anderen Sachen habe ich immer mal wieder mitgenommen“, so Kahrens. Denn das Paar ist zum Hospizhaus gefahren, mit dem Gedanken, dass sie wieder nach Hause kommt. Bei dem Besuch handelt es sich um eine Kriseninterventionsmaßnahme. Sie sollte mit einer palliativen Chemotherapie auf eine Operation vorbereitet werden. Doch die Operation musste aus medizinischen Gründen abgesagt werden. „Im besten Fall sollte es ihr besser gehen. Daran hat sie monatelang gearbeitet. Und dann war die Nachricht natürlich ein Schock. Das hat uns einen Dämpfer verpasst“, erzählt der Wolfsburger.

Lucas Weiß kann sich noch erinnern, wie das Team die schlechte Nachricht von der abgesagten Operation aufgenommen hat: „Wir waren alle bestürzt.“

Im Hospizverein arbeiten aktuell 100 hauptamtliche und 350 ehrenamtliche Mitarbeiter. In beiden Hospizhäusern werden pro Jahr rund 270 Gäste gepflegt. Der Aufenthalt im Hospiz – egal wie lang oder kurz – wird den Gästen so angenehm wie möglich gemacht. Kahrens erzählt mit einem Lächeln vom Weihnachtsfest, das sie gemeinsam im Hospiz gefeiert haben. Glücklich wirkt er auch, als er von der letzten gemeinsamen Nacht spricht. Im Hospiz gibt es ein Gästezimmer für Angehörige, und in diesem haben sie nach vielen Wochen endlich mal wieder nebeneinander geschlafen. „Das war wunderschön“, sagt Kahrens. Die Angehörigen können rund um die Uhr in die Hospizhäuser. Wenn sich der Zustand der Gäste verschlechtert, werden die Angehörigen angerufen.

Wundervolle Momente und Erinnerungen hat Kahrens dank des Hospizes erlebt. Vor kurzem habe er eine Lehrerin, die als Gast im Haus war, wiedergetroffen und von ihr Abschied genommen. „Solche Momente geben mir Kraft und Halt“, betont der 34-Jährige. Er findet, das neue Hospizhaus sei modern und gemütlich eingerichtet. Zudem seien die Mitarbeitenden sehr freundlich. „Manchmal unterhalte ich mich noch eine halbe Stunde mit den Pflegekräften, auch über private Dinge“, so der Wolfsburger.

Mohrs zufolge gehört zum Wohlfühlen auch das Essen. Daher wird versucht, den Gästen ihr Lieblingsessen zuzubereiten. Damit mehr vegane Gerichte angeboten werden, ist die Freundin von Bennett Kahrens mit der Köchin einkaufen gefahren. „Durch sie werden mehr vegane Gerichte in den Hospizhäusern gekocht. Sie hat also richtig viel bewirkt“, erzählt der Geschäftsführer vom Verein.

Obwohl sich beide im Hospiz gut aufgehoben fühlen, erlebt der Wolfsburger selbstverständlich eine „psychische Ausnahmesituation“. Daher habe er zweimal mit der Psychologin des Hauses gesprochen. Die ständige Anspannung, die gemischten Gefühle und die Ungewissheit, wie es mit seiner Lebensgefährtin weitergeht, spürt der junge Mann: „Ich habe manchmal Sehstörungen und Druck auf der Brust. Das wurde alles abgeklärt und kommt von der Belastung.“

Trotz der Anspannung möchte der 34-Jährige seinen Beruf nicht aufgeben. Er arbeitet bei der Feuerwehrleitstelle von Volkswagen und hat Zwölf-Stunden-Schichten. „Kurzzeitig war ich krankgeschrieben, aber die Arbeit hilft mir. Dadurch habe ich eine Aufgabe und einen Rhythmus. Und mit meinen Kollegen kann ich über meine Sorgen sprechen. Nur am Anfang war es beklemmend für mich, aber das hat sich schnell gelegt“, erzählt Kahrens. Neben den Kollegen und Pflegekräften, stünden auch Familie und Freunde zur Seite, dass sie für ihn da sein, dafür sei er sehr dankbar.

Der Wolfsburger wirkt, als ob er auf alles vorbereitet sein möchte. Vermutlich ist das für einen Feuerwehrmann üblich. Um seine Freundin bestmöglich zu unterstützen, hat er einen Letzte-Hilfe-Kurs besucht, in dem sich mit dem Sterben auseinandergesetzt wird. „Die Treffen in der Gruppe haben mir sehr geholfen“, so Kahrens. Dieses Angebot richtet sich nicht nur an Menschen, die Angehörige im Hospiz haben. „Den Kurs sollten wirklich viel mehr Leute machen. Über das Sterben sprechen ist so wichtig, damit den Angehörigen viele Entscheidungen zum Beispiel zur Beisetzung abgenommen werden“, betont Bennett Kahrens. Auch mit seiner Freundin möchte er noch über den Abschied reden.

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